Ich und du Muellers Kuh
glänzte ein letztes Lebewohl. Wir schlossen die Wohnungstür hinter uns ab und gingen die Treppe hinunter in die Diele. Noch zwei, drei Monate, dann würden die Wände von Reif glitzern und schimmernde Eiszapfen von der Decke wachsen. Die Hintertür stand offen, die kleine, ewig verklemmte.
»Laß sie in Ruhe, Manfred! Wir dürfen kein Risiko eingehen, heute am Umzugstag!«
»Offen kann sie nicht bleiben«, sagte er und packte die Klinke mit starker Hand.
»Paß auf, sie wird dich klemmen!«
Sie tat es nicht, ließ sich leicht ins Schloß drücken und quietschte nur leise und versöhnlich.
»Du Biest!« Ich gab ihr einen letzten wehmütigen Abschiedstritt. Dann wandten wir uns ab, gingen am Räumle und der Registratur vorbei durch die schöne Vordertür hinaus ins Freie.
Wie oft hatte ich über dieses Haus gemurrt. Jetzt erschien es mir gar schön und prächtig.
»Es war unser eigenes kleines Königreich. Jetzt müssen wir mit so vielen Menschen zusammenleben. Meinst du, wir schaffen das, Manfred?«
»Es wird uns nichts anderes übrigbleiben«, antwortete er. Ein letzter Blick auf Haus und Garten, dann gingen wir zum Auto. Auf diesen Augenblick hatten Rosa und Marie gewartet. Sie eilten aus dem Lädle herbei, um ein letztes Mal »ade« zu sagen und einen Korb mit Eiern auf den Rücksitz zu stellen.
»Brauchet’s gsond!« Schwester Lina legte mir einen Strauß Astern auf den Schoß. Die Mesnerin winkte vom Kirchplatz herunter. Ich ließ mein Taschentuch aus dem Autofenster flattern, obwohl ich es drinnen nötiger gebraucht hätte.
Als wir vor dem »Wolkenkratzer« in der Stadt anlangten, stand noch kein Möbelwagen dort, aber Parkverbotsschilder zeigten an, daß er erwartet wurde.
Unsere neuen Hausbewohner hatten wir schon besucht. Es waren kirchliche Mitarbeiter: Jugendwart, Kirchenpfleger, Kindergärtnerinnen und ein Prälat in Ruhe, aber kein Pfarrer. Die drei anderen Pfarrfamilien von Nikodemus lebten in einem weit schöneren Haus in der Nähe der Kirche.
O, wie krampfte sich mein Herz zusammen, als ich diese Pfarrwohnungen sah! Große, helle Zimmer, Schiebetüren, Teppichböden, modern eingerichtete Küchen. Warum nur mußten gerade wir in diese vertrackte Wohnung ziehen, hoch über der lauten Durchgangsstraße? Hätte es mir nicht auch gut getan, in einer bequemen, modernen Wohnung zu leben nach den sieben harten Jahren im Weidener Pfarrhaus? Anklagend hob ich die Hände gen Himmel und haderte mit meinem Geschick. Schließlich zog ich Manfred zur Rechenschaft und bat ihn, mir eine theologische Erklärung dafür zu geben, daß der Herr solche Unterschiede mache in der Behandlung seiner Diener. Ob es gerecht sei, daß der eine so schön wohnen dürfe und der andere so schlecht, auch wenn ihm beide in gleicher Weise treulich gedient?
»O Malchen«, sagte er, »sei dankbar und froh! Du bist bestimmt nicht schlecht weggekommen. Wir sind weit ab vom Schuß. Was meinst du, was sie im gemeinsamen Pfarrhaus für Probleme haben?«
»Gar keine Probleme. Jeder lebt in seiner Wohnung friedlich vor sich hin.«
»Denkst du! Auch in Pfarrfamilien gibt es Streit. Du solltest das eigentlich wissen. Und all dies erleben die anderen mit. Sie sehen deinen christlichen Lebenswandel aus nächster Nähe und machen sich ihre Gedanken. Sie können beobachten, welches Gemeindeglied ins Haus kommt, zu wem es geht, wie lange es bleibt. Na, willst du immer noch so gern im gemeinsamen Pfarrhaus wohnen? Ja? Dann zähl mal nach, wie viele Pfarrerskinder in diesem Haus zusammenkommen. Nein, zehn Finger langen da nicht aus, du mußt schon noch einen Fuß zu Hilfe nehmen. So, Malchen, und jetzt denk dran, wie dir manchmal der Krach deiner eigenen Söhne auf die Nerven geht, es sind nur zwei...«
»Warum sagst du >nur zwei< und machst ein trauriges Gesicht und legst die Betonung auf >nur Sind’s dir zu wenig?«
»Nein, natürlich nicht, und ich hab auch kein trauriges Gesicht gemacht und die Betonung auf >nur< gelegt. Ich wollte bloß deutlich machen, daß unsere Familie klein ist im Gegensatz zu den anderen Pfarrfamilien...«
»Siehst du, jetzt machst du mir Vorwürfe. Dabei haben wir schon oft darüber gesprochen, und ich dachte, wir wären uns einig...«
»Wir sind uns auch einig! Es geht doch nur darum, daß in dem anderen Haus mehr Kinder sind und daß mehr Kinder mehr Krach machen!«
»Ich glaube, du hast was ganz anderes auf dem Herzen.«
»Nein, das habe ich nicht. Malchen, dich drückt dein Gewissen, dein
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