Ich und du Muellers Kuh
ob die Leute sie vertragen? Erst >Sonne der Gerechtigkeit< und dann >Das Kunstwerk<. Möglicherweise kollabiert einer. Gut, daß mein Vater da ist zur ersten Hilfe!«
Hatte der Kirchenchorgesang als warme Dusche dem Publikum wohlgetan und es angenehm durchwärmt, so brauste »Das Kunstwerk« als kalte Dusche hernieder, erschreckte und lähmte.
Unsere vier Herren spielten mit sichtlichem Vergnügen. Sie hatten nach all den Vorkommnissen einen gewissen Gleichmut erlangt, sprachen zum Publikum hin, so daß diesem kein Wort verlorenging, und stellten die verlogene Moral so recht deutlich vor aller Augen. Unter den Zuschauern machte sich Unzufriedenheit bemerkbar. Einige gewannen das Gefühl, daß man sich über sie lustig machen wolle, andere zeigten sich peinlich berührt von der Hinteransicht der Venus, und manche konnten einfach nicht mehr sitzen und waren des Spieles müde. Das ging nun auch dem Ende zu. Ferdi schloß den Kreis und brachte »das Kunstwerk« zurück zum Arzt.
War’s Erschöpfung, war’s Ungeschick oder Berechnung? Der Leuchter entglitt seinen Händen. Es klirrte, es schepperte! Zwei rosa Köpfchen rollten dem Publikum vor die Füße. Aber das Opfer wurde nicht angenommen. Der Schlußapplaus fiel mager aus.
Hugo Pratzel sprach ein abschließendes Wort. Ihm hatte das Spiel gefallen, und so rührte er denn fleißig in der Wunde. Er wies die Gemeinde darauf hin, daß dieses Stück auch noch heute aktuell sei, daß es zum Nachdenken anrege und daß man den jugendlichen Spielern herzlich dankbar sein müsse für diese äußerst wichtige Lektion.
Der Posaunenchor spielte: »Nun danket alle Gott«, wobei nicht alle Anwesenden dankbar einfielen. Auch wir Laienspieler sangen nicht, wir standen um Ferdi herum und rangen die Hände.
»Ferdi, um Himmels willen, warum hast du das gemacht?!«
Er grinste. »Weiß nicht, ist mir halt passiert!«
»Was wird deine Mutter sagen?«
»Sie wird’s überleben!«
»Hier«, Ulla legte ihm ein rosa Köpfchen in die Hand, »das hab ich noch gefunden.«
Das Fest war beendet, der Saal leerte sich. Wir blieben in unserer Kammer. Manfred erschien. Sein Gesicht strahlte in bemühter Begeisterung.
»Großartig! Sie haben sich selbst übertroffen!«
Julius Finks Baß dröhnte auf uns hernieder.
»Herrlich! Ausgezeichnet!« Dann wandte er sich zu mir. »Vielleicht können wir uns das nächste Mal etwas besser abstimmen. Ich hatte den Eindruck, es paßte nicht so recht zusammen...«
»Psychologisch gesehen«, sagte Sigmund Säusele, »taten sich interessante Aspekte auf!«
»Nur weiter so!« rief Hugo Pratzel und schlug Ferdi kräftig auf die Schulter, »laßt euch ja nicht unterkriegen!«
Wir räumten auf und feierten hinterher ein rauschendes Fest bei Cola und Kuchen und belegten Broten. Hansi hatte aus den heimatlichen Beständen eine Sektflasche mitgehen lassen. Er ließ den Pfropfen gegen die Decke knallen, die Hälfte des Sektes spritzte hinterher, trotzdem bekam jeder von uns noch einen Schluck.
Mesner Lasewatsch gesellte sich zu uns. »Also dieser Leuchter!« klagte er, »es ist ein Jammer, solch ein schönes Stück!«
»Vater«, mahnte Ulla, »mußt du nicht die Lichter im Saal ausmachen? Und überhaupt kannst du ruhig nach Hause gehen, ich schließ hinter uns ab.«
Er ging hinüber ins Mesnerstübchen und angelte in der Tiefe seiner Hosentasche. Dann zog er ein rosa Venusköpfchen heraus, betrachtete es liebevoll, öffnete seinen Schrank und bereitete ihm neben Gesangbüchern und Opferbüchsen ein trautes Plätzchen.
Wir ließen die Ereignisse des Abends noch einmal an uns vorüberziehen.
»Ich hätt’s nicht gedacht, daß die Leute so sauer reagieren«, meinte Ferdi.
»Meine Mutter hat >Das Kunstwerk< damals gelesen«, erinnerte sich Katja.
»Na und? Wie hat’s ihr gefallen?«
»Sie hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und >ach, du meine Güte< gesagt!«
Manfred legte seine Hand auf meine Schulter.
»Du hättest es eigentlich wissen müssen, Malchen! Denk doch an deinen ersten großen Theaterskandal!«
Wie hatte ich den nur vergessen können! Diese Blamage! Diese Wut! Diesen Schmerz! Ich war damals fünfzehn Jahre alt. Ein vergnüglicher Gemeindeabend sollte stattfinden, und als Pfarrerstochter machte ich selbstverständlich mit, übte lustige Stückchen ein und spielte auch selbst.
Ein Sketch war darunter, nicht geistreich, nicht witzig, aber voller Situationskomik. Ich mochte ihn nicht, weil ich ihn blöd fand, schauspielerisch
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