Ich und du Muellers Kuh
Dort saß er lange und schwieg. Mir war es auch nicht nach Reden zumute. Durch meinen Kopf wanden sich verwundete Nervenstränge und quietschten Rollstühle.
Der kleine Mann räusperte sich.
»Was ist das für ein fürchterlicher Kuchen auf Ihrem Nachttisch?« so hörte ich ihn fragen.
»Andreas hat ihn für mich gebacken.«
»Schrecklich«, er beugte sich vor, um den Kuchen genauer zu betrachten, »zu wenig Eier, zu viel Zucker, zu viel Fett, viel zu viel Rosinen, er ist sitzengeblieben. Wer ist Andreas?«
»Mein achtjähriger Sohn.«
»Ich bin der Krankenhauspfarrer. Mein Name ist...«, er stockte, fuhr dann aber entschlossen fort: »Ich heiße Gottesacker. Auf manchen Kranken wirkt es deprimierend. Habe ich Sie vielleicht damit vor den Kopf gestoßen?«
»Nein, Herr Gottesacker, wirklich nicht, ich finde den Namen richtig beruhigend.«
»Das ist mir eine Hilfe. Und was diesen Kuchen anbelangt... vielleicht könnte ich einmal mit Ihrem Sohn darüber sprechen. Ich backe gern und gut, wenn ich das einfach mal so in den Raum stellen darf. Eine Biskuitrolle mit frischen Eiern, eine Linzertorte mit Himbeermarmelade und Nüssen...«
Seine Augen strahlten, seine Lippen gaben schmatzende Geräusche von sich.
»Wissen Sie, als Pfarrer sieht man wenig Erfolg. Man weiß nie, ob den Leuten die Predigt geschmeckt hat oder ob sie ihnen schwer im Magen liegt. Wann kann man schon sagen, das ist mir gelungen? Beim Backen ist es anders! Wenn ich das Rezept befolge, gute, frische Zutaten nehme, die richtige Hitze einstelle, die rechte Zeit abwarte, dann kann ich sicher sein, daß etwas Gutes aus dem Ofen kommt. Deshalb backe ich immer, wenn ich ein wenig deprimiert bin. Verstehen Sie das, liebe Frau Müller?«
»Ja, Herr Gottesacker, das verstehe ich, und es ist ein tolles Rezept. Jetzt sollte ich auch einen Kuchen backen!«
»Sie sind deprimiert, ich habe es gemerkt. Wollen Sie erzählen, was Sie bedrückt? Nein? Dann gehe ich jetzt nach Hause und backe einen Kuchen für Sie. Was mögen Sie lieber, Hefe oder Backpulver?«
»Hefe, nein Backpulver, nein, ich weiß nicht...«
»Gut, dann werde ich mir etwas einfallen lassen.« Er erhob sich. »Und dieser Kuchen Ihres Sohnes... Ich habe ihn vorhin falsch beurteilt, er ist wundervoll. Mit einem solchen Kuchen auf dem Nachttisch kann man eigentlich nicht verzweifeln. Leben Sie wohl, Frau Müller, wir sehen uns bald wieder.«
Er ging. Ich aß ein Stück vom Kuchen meines Sohnes. Es war sehr süß, es war sehr fett, aber es schmeckte mir wunderbar.
Die Laienspieler rückten an, versammelten sich im Halbkreis um mein Bett und wollten wissen, wann endlich ich wieder mit ihnen zu spielen gedächte.
»Das ist nichts«, sagte Ferdi, »daß Sie hier herumliegen. Wir müssen üben. Weihnachten steht vor der Tür, Hochsaison für Laienspieler!«
»Wie soll ich mit euch üben, wenn ich nicht gehen kann?«
»Das bilden Sie sich bloß ein«, sagte Ulla, »ich hab auch mal gedacht, ich hätte einen Kloß im Hals und könnte nicht mehr schlucken, und dabei gab es gar keinen Kloß!«
»Übt doch alleine, ihr seid ja schließlich groß genug!«
»Das ist nichts!« Ferdi schüttelte den Kopf, »wir haben es schon versucht, aber es gibt nichts als Zank und Streit. Wir brauchen jemanden, der alles besser weiß!«
»Aber Ferdi, du bist doch da!«
Er bedachte mich mit seinem schiefen Lächeln.
»Mir kommen Sie schon wieder sehr gesund vor«, meinte er dann, »und wegen der anderen Sache haben wir ausgemacht, abwechselnd mit Ihnen zu üben.«
»Nein, das kommt nicht in Frage! Ich will es nicht! Es ist mir peinlich!«
»Das braucht Ihnen nicht peinlich zu sein! Es geht uns nicht um Sie, sondern nur um uns, basta!«
Also tauchte jeden Tag ein anderes Pärchen auf. Ulla und Hansi, Katja und Ferdi, Elfi und... Sie hatten wieder »Bäumchen Wechsel dich« gespielt, ich hatte Mühe, mich in die neuen Gegebenheiten einzufühlen. Einer packte rechts zu, der andere links, so zerrten sie mich sogar die Treppen hinunter.
»Das Trainingsprogramm haben wir uns ausgedacht«, schnaufte Magnus, »Treppensteigen stärkt die Beinmuskulatur! Auf geht’s, Frau Pfarrer!«
Mit Evelyn wehte ein Hauch von Welt in mein schlichtes Krankenzimmer. Im schicken, grauen Kostüm, mit roter Bluse, roten Pumps und roter Feder am schwarzen Hütchen, schoß sie zwischen Bett, Tür und Gang hin und her.
»Hörst du ihn?« rief sie klagend und rang die Hände mit den rotlackierten Nägeln, »das arme, liebe Tierchen,
Weitere Kostenlose Bücher