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Ich und du Muellers Kuh

Ich und du Muellers Kuh

Titel: Ich und du Muellers Kuh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei-Angelika Mueller
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kräftigen!«
    Es gab im ganzen Haus ein einziges Gestell auf Rollen, an das man sich klammern konnte, wenn man wie Kleinkinder nicht zu gehen vermochte. Dieses Gestell wurde verständlicherweise allerorten benötigt, so kam ich nur selten in seinen Besitz.
    Da trat die Nikodemusgemeinde in Aktion. Sie rückten an, bepackt mit vitaminreichen Obstsalaten und appetitanregenden Piccolofläschchen. Maria Fink flößte mir Kefir ein, da sie mit Recht argwöhnte, ich würde ihn sonst nicht zu mir nehmen. Kaum hatte ich den letzten Schluck hinuntergewürgt, da zog sie schon meine Beine aus dem Bett, stellte sie auf den Boden und schob den anderen Teil meiner Leiblichkeit hinterher.
    »Nun bist du gestärkt, nun gehen wir ein Stückchen spazieren!«
    »Maria, ich kann nicht!«
    »Man kann alles, wenn man will. Ich stütze dich.«
    Sie schleifte mich in den Flur, aber so sehr ich mich auch mühte, der linke Fuß gehorchte mir nicht, hing kraftlos herunter und knickte unter meinem Gewicht zusammen.
    Wir keuchten beide vor Anstrengung und Aufregung als wir wieder im Zimmer anlangten.
    »Ich werd’ nie mehr gehen können, Maria.«
    »Natürlich kannst du wieder gehen! Du mußt dich nur anstrengen und an deine Familie denken! Jetzt marschieren wir noch bis zum Fenster, und dann langt es für heute«.
    Wir schleppten uns zum Fensterbrett, dort hielt ich mich fest und schaute hinaus. Die ersten Blätter fielen, die Sommerferien waren vorbei. Andreas mußte zur Schule und ich so schnell wie möglich nach Hause. Maria schüttelte die Kissen auf, zog das Laken glatt und geleitete mich wieder zum Bett.
    »Hier ist der Kefir für morgen. Ich stelle ihn aufs Fensterbrett. Und daß du ihn ja trinkst! Er ist außerordentlich wichtig für deinen Fuß! Übermorgen bin ich wieder da!«
    Agathe Säusele sprach zart und psychologisch auf mich ein.
    »Ich hasse diesen Fuß!« schrie ich.
    »Das ist der Fehler«, sagte sie, »du mußt ihn lieben!«
    Sie massierte das gefühllose Ding mit stark duftendem Latschenkiefernöl.
    »Na, wie fühlst du dich?«
    »Fühlen tu ich nichts, Agathe, aber riechen!«
    »Jetzt gehen wir noch ein bißchen auf dem Flur hin und her und sind ganz froh dabei. Nachher kriegst du ein Schüsselchen Obstsalat. Die Kinder haben ihn für dich geschnippelt.«
    Hugo Pratzel rief mich zu sportlicher Leistung auf.
    »Sei nicht so lasch! Du bist bloß faul! Lieg nicht im Bett rum! Reiß dich zusammen! Wir werden jetzt einen kleinen Dauerlauf machen! Eins, zwei, drei! Eins, zwei drei!«
    »Um Himmelswillen, Hugo, ich flieg auf die Nase!« schrie ich und tat’s auch gleich. Er half mir wieder hoch und trieb mich weiter zum nächsten Sturz. Stark angeschlagen hockte ich nach dieser sportlichen Betätigung auf dem Bettrand. Hugo lehnte am Fenster, auch sein Atem ging schwer.
    »Man ist nichts mehr gewöhnt«, er packte seine Aktentasche und verließ mich mit der Drohung, er werde bald wiederkommen und wolle dann eine Besserung sehen.
    Der Chefarzt kam aus dem Urlaub, braungebrannt und energiegeladen. Er hatte mich nicht operiert, weil er damals nicht zugegen war.
    »So, und jetzt laufen wir dem Onkel Doktor etwas vor!«
    Ich schluckte hinunter, was ich von dieser Anrede für Kleinkinder hielt, erhob mich gehorsam und hinkte am Arm der Schwester eine mühevolle Runde.
    »Ja, was ist denn da passiert?« fragte er laut und vernehmlich, schüttelte den Kopf, verschwand und ließ mich zurück in Angst und Schrecken.
    Nach einer halben Stunde wurde die Tür aufgerissen, die weiße Lawine rollte wieder ins Zimmer, weiße Arztkittel, flatternde Schwesternhauben. An meinem Bett kam sie zum Stehen, formierte sich am Fußende, indes der Chef näher zu mir trat, sein Lächeln zuversichtlich, seine Stimme sonor und beruhigend.
    »Alles ist in Ordnung, absolut wundervoll! Der Nerv wurde ein wenig in Mitleidenschaft gezogen. Außerdem, meine Liebe, sind wir etwas labil, deshalb können wir noch nicht fest auf den Füßen stehen, aber wir kriegen das schon hin. Mit der Zeit wird alles heil...«
    »Nur die Pfeife hat ihr Teil!« so ergänzte ich frei nach Wilhelm Busch.
    Der Chefarzt lachte herzlich und sein Ärztestab pflichtschuldigst hinterher. Die weißen Hauben flatterten neckisch, dann rollte die Lawine wieder davon.
    Ich lag allein, aber nicht lange. Besuch kam. Ich sah ihn nur verschwommen durch einen Tränenschleier. Ein kleiner, schwarzer Mann. Er stand ein Weilchen unschlüssig am Fußende des Bettes, dann nahm er auf einem Stuhl Platz.

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