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Ich und er und null Verkehr

Ich und er und null Verkehr

Titel: Ich und er und null Verkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Schneyder
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Abend,
versuche ich mir Mut zu machen.
    Gedankenverloren trinke ich einen Schluck. »Henning, du kennst dich
doch mit den Frauen aus …«
    Henning wirkt überrascht. »Wie kommst du denn darauf?«
    Â»Na, du hast doch jeden Tag welche auf deiner Couch liegen, die dir
ihre intimsten Gedanken mitteilen.« Ich weiß, dass achtzig Prozent von Hennings
Patienten Frauen sind.
    Â»Ja, stimmt. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich ihre Gedanken
nachvollziehen kann. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was die alles bei mir
abladen.« Er verzieht das Gesicht. »Erst heute hat sich eine bei mir
ausgeweint, weil sie Bademodenmodel werden will und ihr Mann kein Verständnis
dafür hat.«
    Wir schütteln verständnislos die Köpfe.
    Â»Na und, das ist doch nichts Besonderes«, wirft Claudia ein.
    Henning verdreht die Augen. »Die ist sechzig und hat drei Tonnen
Übergewicht, wenn du verstehst, was ich meine. Und jetzt macht sie ihrem Alten
die Hölle heiß, weil der sie nicht unterstützt.«
    Â»Und was hast du ihr geraten?«, will Claudia wissen.
    Â»Ich habe ihr gesagt, dass ihr Mann vermutlich Angst hat, sie zu
verlieren, und deswegen ihre Pläne blockiert. Und dass sie das als Kompliment
sehen soll.«
    Claudia macht große Augen. »Das heißt, du hast sie einfach belogen ?«
    Â»Ja, klar. Für hundertdreißig Euro die Stunde kann ich ihr doch
nicht sagen, dass sie alt und fett ist, oder?« Er kratzt sich nachdenklich
hinter dem Ohr. »Ich weiß zwar, wie viele Frauen denken, aber ich bin weit
davon entfernt, sie auch zu verstehen. Bei manchen männlichen Patienten geht’s
mir übrigens auch nicht besser«, fügt er hinzu, als er Claudias Blick sieht.
    Hundertdreißig Euro die Stunde dafür, dass man jemanden nicht versteht? Ich habe eindeutig den falschen Beruf.
    Â»Ja, aber das mit dem Getratsche, das ist doch wirklich ein Problem
bei den Frauen«, hebe ich erneut an. »Die können keine zwei Minuten zusammen
sein, ohne über irgendwas zu quasseln. Und dabei reden die über alles .«
    Henning nickt bedächtig. »Das stimmt schon, da ticken Frauen anders
als Männer. Frauen müssensich mitteilen. Deshalb ist
es für sie auch umso schwieriger, ein Geheimnis für sich zu behalten. Besser,
man erzählt ihnen gar nichts, was sie nicht weitererzählen dürfen. Das macht es
für alle Beteiligten leichter.«
    Stimmt. Hätte ich Sandra erst gar nichts vom Fall Lorenz erzählt,
hätte ich mir eine Menge Probleme erspart. Das sollte ich mir für die Zukunft
merken.
    Aber jetzt brauche ich erst mal ein wenig Ablenkung.
    Â»Wie sieht’s aus, Freunde, spielen wir eine Runde Dart?«
    Als ich nach Hause komme, ist es kurz nach zwölf. Ich habe
ordentlich einen in der Krone, und wie erwartet ist Sandra nicht da. Ich nehme
an, dass sie bei Susi übernachtet, und irgendwie bin ich froh darüber. Mein
erster Ärger ist zwar verflogen, aber zu einer wirklich vernünftigen Diskussion
fühle ich mich in meinem Zustand nicht in der Lage.
    Ich dusche noch schnell, dann hole ich mir ein Bier aus dem
Kühlschrank und hocke mich vor den Fernseher. Ich zappe durch die Programme und
bleibe bei einem alten Krimi mit James Cagney hängen. Eine Zeit lang glaube
ich, dass er darin einen Zwilling spielt, bis mir auffällt, dass auch alle
anderen Akteure doppelt vorkommen. Ich gebe auf.
    Sandra fällt mir wieder ein, und wie betroffen sie vorhin am Telefon
geklungen hat. Genau genommen habe ich ihr gar keine Gelegenheit gegeben, sich
zu rechtfertigen. Ich weiß, wie sensibel sie ist und wie sehr sie unter meinen
Anschuldigungen leiden muss, und der Gedanke versetzt mir einen kleinen Stich.
Auf einmal habe ich ein richtig schlechtes Gewissen. War ich vielleicht doch
ein bisschen zu hart zu ihr? Ob ich sie anrufen sollte?
    Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es dafür zu spät ist. Bestimmt
schläft sie schon. Ich werde ihr stattdessen eine SMS schicken. Um ihr zu
sagen, dass sie sich das Ganze nicht so zu Herzen nehmen soll … und dass ich
vielleicht doch noch einen Weg finde … dass ich ihr jetzt gar nicht mehr so
böse bin … und … ja, so was in der Art werde ich ihr schreiben. Um sie ein
bisschen zu beruhigen.
    Und um auch mich zu beruhigen.

Ich
    Â»Er hat dich für Sandy Wild gehalten? Wahnsinn!« Kerstin
kichert unbekümmert drauflos. Dann

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