Ich und er und null Verkehr
Gesicht sehen, und diesen verflixten Span wäre
ich noch immer nicht los.
Ich könnte einfach stillhalten und das Ganze über mich ergehen
lassen. Was wäre schon dabei? Die sehen mein Gesicht nicht, und ich sehe ihres
nicht. Für die bin ich nichts weiter als ein unbekanntes Hinterteil, das
medizinisch versorgt werden muss. Ich muss nur einfach stur geradeaus schauen,
Dr. Arschloch-Voss hat seinen Spaà an der Sache, und ich spaziere hinterher
schmerzfrei und anonym hier raus. Genau, so mache ich es.
Ich starre also weiter mit hochrotem Kopf auf die Liege, und Dr.
Voss beginnt an mir herumzudoktern. Wenigstens hat die Betäubungsspritze
gewirkt, ich spüre fast gar nichts dabei. Während der Behandlung erklärt Dr.
Voss anschaulich seine Vorgehensweise, nicht ohne bei jedem zweiten Satz
Phrasen wie »Unvernunft des Patienten« einzubauen. Das werde ich auch noch
überstehen, rede ich mir ein, es gab schon peinlichere Situationen in meinem
Leben.
Auf einmal taucht wieder ein weiÃer Kittel neben mir auf. Ist er
fertig? Gott sei Dank. Wahrscheinlich will er noch ein paar blöde Sprüche
klopfen. Ich werde ihm mit einer Klage drohen, genau. Auch wenn er es nicht
zugibt, aber vor einer Klage haben alle Angst.
Dann fällt mir plötzlich auf, dass er rot lackierte Fingernägel hat.
Das habe ich vorhin gar nicht gemerkt, vielleicht, weil er Handschuhe anhatte.
Na, wenn das kein Witz ist. Und überhaupt, seine Hände sind lächerlich zart und
schlank für einen Mann â¦
»Herr Becker, sind Sie das?«
Ich verdrehe unwillkürlich meinen Kopf und blicke in die tiefblauen
Augen von ⦠Gina Berger.
»Hi, Herr Becker«, sagt sie erstaunt. »Ich hätte nicht damit
gerechnet, Sie hier wiederzusehen. Geht es Ihnen auch gut?«
»Ãh ⦠ja, danke.« Ich verziehe mein Gesicht zu einer Grimasse, die
ein Lächeln sein soll. »Und Ihnen?«
Okay. Ist ja nichts passiert.
Ich meine, es war schon ein bisschen peinlich, das gebe ich zu. Aber
es kann einem schlieÃlich Schlimmeres passieren, als der Nachbarstochter in
einer etwas ungünstigen Situation zu begegnen, oder etwa nicht?
Zugegeben, es war schon eine ziemlich ungünstige Situation. Um genau zu sein, war es die peinlichste, lächerlichste,
demütigendste Situation, die man sich nur vorstellen kann, um einer Frau wie
Gina Berger zu begegnen. Allein beim Gedanken daran beginnt mein Gesicht gleich
wieder zu glühen.
Aber was sollâs? Es ist nun mal geschehen, und es lässt sich jetzt
nicht mehr ändern. Und so sehr ich diesen Voss für seinen miesen Trick auch
verfluche, so muss ich doch zugeben, dass er gute Arbeit geleistet hat. Meine
Schmerzen sind wie weggeblasen, und das Einzige, was mich noch an die
unangenehme Sache erinnert, ist ein mickriges kleines Pflaster. Das hat er gut
hingekriegt, das muss ich ihm lassen, aber das musste er wohl auch, vor einem
Dutzend Zeugen. So gesehen hatte das Ganze auch was Gutes.
Und Gina Berger, die interessiert mich ja eigentlich gar nicht.
Abgesehen davon hat sie das Ganze sicher nur vom medizinischen Standpunkt aus
betrachtet. Und ich werde sie in Zukunft nicht mehr so oft sehen, weil ich
ohnehin schon seit längerem vorhabe, einen blickdichten Zaun neben meiner
Einfahrt zu montieren. Das ewige Getratsche mit den Nachbarn kann einem auf
Dauer ganz schön auf die Nerven gehen.
So, dann wollen wir uns jetzt wieder den angenehmen Dingen des
Lebens widmen: Sandra. Sie hat vorhin gemeint, dass ich bei ihr etwas guthabe,
und auch später, als wir telefonierten, klang sie überaus dankbar, weil ich ihr
aus ihrer Not geholfen hatte. Und Dankbarkeit kann etwas sehr Nützliches sein,
wenn man Lust auf ⦠ein bisschen menschliche Nähe hat.
Als ich zur Haustür reinkomme, erwartet sie mich bereits. Sie trägt
ihren kurzen Bademantel und duftet wie der Frühling, als ich sie küsse. Als
meine Hände sich selbstständig machen, wehrt sie mich mit einem Lachen ab. »Das
heben wir uns für später auf. Ich habe frische Pizza im Ofen. Hast du Hunger?«
Habe ich, riesigen sogar. Die Pizza ist üppig belegt, wie ich es
liebe, und Sandra hat dazu passend eine Flasche Merlot aufgemacht.
»Und du hattest gar keine Probleme mit den Kindern?«, fragt Sandra,
als ich gerade von einem Stück abbeiÃe.
Ich schüttle den Kopf. »Nein, war eigentlich ganz easy«, sage ich so
lässig,
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