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Ich und er und null Verkehr

Ich und er und null Verkehr

Titel: Ich und er und null Verkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Schneyder
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lassen.
    Und auch für ihn ist das eine enorme Erleichterung, das war ihm
deutlich anzusehen. Er muss von nun an keine Gerichtstermine mehr wahrnehmen,
zu denen Wurzer ihn verdonnert, und er muss nicht mehr Auge in Auge Mandanten
gegenübersitzen, was für ihn die reinste Hölle bedeutet.
    Gottfried und ich werden uns perfekt ergänzen. Er hat das Hirn, und
ich habe die große Klappe, um es mal salopp zu sagen. Und am Ende werden wir
wesentlich mehr verdienen – nach einem kleinen Engpass am Anfang natürlich.
Aber Gottfried hat mir verraten, dass er Geld gespart hat, und ich kann
notfalls meine Hypothek aufstocken. Wir kriegen das hin, wir werden das
gemeinsam stemmen. Wir stehen vor einer goldenen Zukunft, da bin ich mir sicher.
    Genau genommen hätte ich allen Grund zum Feiern.
    Dennoch, innerlich fühle ich mich irgendwie … leer.
    Liegt es daran, dass ich mich gerade von einem wesentlichen
Abschnitt meines Lebens verabschiede? Ich bin in meinem Büro bei Fichtel &
Wurzer und packe gerade meine Sachen. Es ist schon nach sieben, und außer mir
ist keine Menschenseele mehr da. Gottfried ist längst weg, der hat keine zehn
Minuten gebraucht, um seine Habseligkeiten aus seinem Büro zu schaffen. Er
hatte natürlich Angst, seinen ehemaligen Chefs noch einmal unter die Augen
treten zu müssen. Mir dagegen ist das egal. Ich bin heute ohnehin schon auf
Krawall gebürstet. Wenn sie Streit wollen, dann sollen sie ihn bekommen.
Außerdem ist heute Freitag, da haben sich sowieso schon alle ins Wochenende
verabschiedet.
    Ich setze mich ein letztes Mal in meinen bequemen Ledersessel und
lasse den Blick durch das Büro schweifen. Dabei horche ich in mich hinein.
    Hm. Was bedrückt mich bloß so? Ist es der Abschied von hier? War das
so etwas wie eine zweite Heimat für mich, die ich nun für immer zurücklassen
werde?
    Nein, entscheide ich, daran kann es nicht liegen. Vorhin beim Packen
ist mir aufgefallen, dass ich in diesem Büro so gut wie keine persönlichen
Dinge hatte. Keine Bilder an den Wänden, keine Blumen oder sonstige
Dekorationsgegenstände, mit denen ich diesen Raum zu meinem eigenen,
persönlichen Bereich gemacht hätte. Alles, was mir gehört, sind ein paar
juristische Bücher und ein kleines Radio, sonst nichts. Nein, es fällt mir ganz
und gar nicht schwer, das hier zurückzulassen, ganz im Gegenteil. Ich bin
heilfroh, dass ich ein für allemal hier rauskomme.
    Habe ich alles? Das Radio, meine Bücher … Irgendwie habe ich das Gefühl, dass etwas fehlt. Ah, genau,
mein Kommentar zur letzten Strafrechtsreform, der ging mir die ganze Zeit ab.
Jetzt fällt’s mir wieder ein: den hatte sich doch Philipp Streiff letzte Woche
geborgt – und natürlich nicht zurückgebracht.
    Ich ziehe mein Sakko über, schnappe mir meinen Karton und gehe ins
Vorzimmer. Den Karton stelle ich beim Empfang ab, dann marschiere ich in
Philipps Büro.
    Als ich es betrete, wird mir zum ersten Mal bewusst, wie perfekt
eingerichtet es ist. Abgesehen davon, dass es viel größer ist als meines, sind
sämtliche Möbel aus freundlichem, hellem Holz. An den Wänden hängen Bilder von
Gegenwartskünstlern, und neben einer Sitzgruppe aus hellbraunem Leder gibt es
ein Pflanzenarrangement wie in einem tropischen Garten samt einem Aquarium.
    Kein Zweifel, für Philipp ist das seine zweite Heimat. Oder sogar
seine erste. Aber was soll’s? Kann mir eigentlich egal sein. Ich will nur mein
Buch, dann bin ich weg.
    Ich nähere mich suchenden Blickes seinem Schreibtisch – der übrigens
doppelt so groß ist wie meiner –, dann entdecke ich meinen Kommentar. Als ich
ihn an mich nehme, fällt mein Blick auf ein mattschwarzes, rechteckiges Ding,
das daneben liegt. Was ist das denn? Der wird doch nicht seinen Organizer hier
vergessen haben?
    Ganz automatisch lege ich mein Buch wieder ab und greife mir das
Ding. Ich weiß, man soll nicht in den Sachen anderer Leute rumschnüffeln, aber
plötzlich erwacht die Neugierde in mir. Immerhin, ein Organizer ist doch so was
wie ein Tagebuch für moderne Menschen, vor allem für solche wie Philipp. Der
tippt ständig darauf herum, da stehen sicher ein paar interessante Sachen drin.
    Als ich das Ding aufklappe, begrüßt es mich mit einer klassischen
Melodie. Nicht mal ausgeschaltet. Leichtsinnig von Philipp, das muss ich schon
sagen. Ich ziehe den Bedienstift

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