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Ich war der Märchenprinz

Ich war der Märchenprinz

Titel: Ich war der Märchenprinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Piewitz
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den Notarzt«, sage ich. Sie guckt ganz verständnislos. »Wieso?« fragt sie. Offenbar weiß sie nicht, wie laut sie gekreischt hat. Wie laut und schrill wird sie erst kreischen, wenn wirklich ein Grund vorliegt?
    Unfaßbar. Die junge Frau hat keinen Begrenzer. Kreischt hier rum wie, wie... Ich weiß nicht. Wenn Mireille Mattjöh singt, kriege ich immer Kopfschmerzen. Dieses Kreischen ist noch viel schlimmer.
    Linke Frau, 24, auf der Suche nach unmännlichen Männern: hysterisch? Auf jeden Fall eine große physische Kraft. Anderen Leuten fliegen bei dieser Höhenlage die Stimmbänder aus den Ohren. Unvorstellbar, wenn die mal so in geschlossenen Räumen kreischt...

    Sie legt sich wieder hin, ganz friedlich, als ob nichts gewesen wäre. Ich sehe sie an. Auf meine Augen kann ich mich verlassen. Ich lege mich neben sie, sage vorsichtshalber »wenn du nichts dagegen hast« und packe meinen linken Arm so leicht auf sie drauf. Sie reagiert, als hätte sie darauf gewartet. Kuschelt sich etwas an, schubbert sich in meinen Haaren. Na, und so weiter. Leichtes Streicheln, stärkeres Streicheln: Stirn, Nase, Augen, Hals, Ohren — dann erst Mund. Den eigenen Mund ans linke Ohr der — äh — Partnerin. Brustansatz streicheln, gleichzeitig mit dem eigenen Mund vom Ohr rüber Richtung Nasenwinkel, dann runter zum anderen Mund, gleichzeitig mit flachem Handteller, ohne zu grapschen oder sich aufzustützen, auf der Brustwarze kreisen, aber ganz ganz sachte, sanft küssen, immer weiter, dabei Zunge zurückhalten, bis die andere Zunge rauskommt, nichts fordern, nicht zupacken, nichts nehmen — eher sich etwas zurückziehen, gerade soviel, daß die/der andere nachkommen kann, mehr will, anfängt zu fordern, gierig wird. Tja, das kann man nicht so ohne weiteres, das muß man lernen, das ist schon hohe Schule. Routine will ich nicht sagen, das hat sowas Abwertendes. Ich meine, Zärtlichkeit muß man können, Zärtlichkeit ist eine Kunst, eine raffinierte Kunst, und Anfänger haben’s da nicht so leicht. Ich habe sehr feinfühlige Finger — ich könnte leichter blind sein als andere Leute, mein Tastsinn ist echt gut entwickelt.

    Ich spüre jede kleine Veränderung der Haut, jedes Sich-Zusammenziehen der Poren, jedes Nervenzucken, meine Fingerspitzen sind Geigerzähler im Aufspüren erogener Zonen, sie streicheln dich wehrlos, und wenn sie gegen den Strich über die feinen unsichtbaren Härchen auf deinem Bauch streichen, ohne sie überhaupt zu berühren, wenn die Elektrizität zwischen meiner Hand und deinem Bauch die Härchen zwingt, sich aufzurichten: dann spüre ich am Klopfen in deiner Halsschlagader, daß dir die Nässe die Oberschenkel hinabläuft. Das wissen und dennoch weiter hinter sich herlocken, zurückweichen, zärtlich treiben: das bringt’s! Zupacken wie ein Mähdrescher, Zustoßen wie ein Ölbohrer und Rammeln wie ein Preßlufthammer, das hat keine Zukunft. Das kann jeder. Ich hab’s gern, wenn mir eine Frau sagt »war wirklich schön mit dir«, und ich weiß, daß sie’s auch so meint und daß sie bei Gelegenheit gerne wieder darauf zurückkommt. Ich verlasse mich nicht auf mein Gesicht — das ist normal. Auch nicht auf die Muskulatur — die ist eher unterdurchschnittlich. Auch nicht auf die Größe meines Schwanzes — da gibt’s bestimmt viel größere. Ich verlasse mich überhaupt auf gar nichts — außer auf meine Zärtlichkeit. Zärtlichkeit kann eine Waffe sein. Meine Zärtlichkeit ist meine Waffe.

    Irgendwann liegt sie auf mir drauf und rubbelt wie eine Verrückte. Schade, daß so viele Textilien zwischen uns sind. Ich lasse ihr Zeit. Ich bleibe zärtlich. Das ist die Entscheidung. Von nun an werde ich sie nicht mehr los.
    Macht nichts, ich kann nicht sagen, daß sie mir mißfällt. Diese total entgleisten Gesichtszüge, das macht mich schon an. »Mein Märchenprinz« flüstert sie, und sabbert mir dabei ein bißchen ins Ohr. Ich wühle in ihrer verschwitzten rotbraunen Naturkrause und muß an den Frosch denken. Augen zu, Mensch, mach bloß die Augen zu, und nicht grinsen! Sie muß das ja nicht unbedingt merken.
    Nur die Frau, die den Frosch küßt, kriegt den Märchenprinzen. Die Frau, die den Märchenprinzen küßt, kriegt dann ja wohl einen Frosch, oder? Sie küßt mich. Nur ein Märchenprinz, der gern ein Frosch wäre, läßt sich so von einer Frau küssen. Oder bin ich ein Frosch, der gerne Märchenprinz wäre, und lasse ich mich deshalb so von dieser Frau küssen? Sie kann nicht genug kriegen,

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