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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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laufen. Und selbst wenn der Lastwagen
mich zerquetschen sollte, suchte ich die Freiheit, nicht den Tod. Obwohl ich an
den Tod dachte. Während er tat, was er wollte, sagte ich mir manchmal im
stillen: »Ich möchte sterben«. Aber viel häufiger sagte ich mir: »Ich möchte,
daß er krepiert«. Nur war es eben einfacher, vor einen Lastwagen zu laufen. Wie
krepiert ein Vater? Ich hatte keine Ahnung. Er kam mir unangreifbar,
unerreichbar vor. Er stand über allem.

4
     
    Ich zähle die Fritten auf meinem
Teller, ich schlucke sie einzeln hinunter und zähle dabei zwölf, dreizehn,
vierzehn.
    »Das beste wäre, du führst ein eigenes
Lebensmittelgeschäft, einen kleinen Selbstbedienungsladen. Du hältst den Laden
tagsüber, und ich helfe dir abends bei der Abrechnung.«
    Mama will arbeiten. Wir sind in der
Schule, und sie ist es leid, den ganzen Tag über nichts zu tun. Mein Vater ist
einverstanden. Jeden Abend sprechen sie darüber. Mir ist das absolut
gleichgültig. Ich habe sechsundzwanzig Fritten gegessen. Wenn sich mein Vater
um all das kümmert, wird er mich in Ruhe lassen. Er muß sehr beschäftigt sein,
damit er mich in Ruhe läßt.
    »Kann ich Fritten haben?«
    »Laß deiner Schwester noch welche,
Nathalie...«
    Mama spricht ein bißchen mehr mit mir.
Trotzdem nicht gerade eine Menge. Diese Sache mit ihrer Arbeit beschäftigt sie
viel und mich etwas weniger.
    Es ist Freitag.
    Er hat mich am Montag geholt und dann
wieder am Mittwoch. Heute abend wird er mich mit ins Badezimmer nehmen. Aber
ich werde ihm sagen, daß es mir reicht.
    »Nathalie, deck den Tisch ab. Vergiß
nicht, dein Zimmer aufzuräumen, bevor du schlafen gehst.«
    »Die Sachen sind nicht von mir, sie
sind von Sophie, sie räumt nichts auf.«
    »Widersprich deiner Mutter nicht! Deine
Schwester ist jünger, du hast aufzuräumen.«
    Ich habe genug von ihm, ich hab’ genug
davon, daß er mich die ganze Zeit begrapscht und daß er sich noch dazu vor den
anderen als Herr aufspielt. Heute abend werde ich ihn abblitzen lassen. Soviel
ist sicher!
    »Mama, ich habe Bauchweh, kann ich mich
jetzt schlafen legen?«
    »Was hast du schon wieder? Immer tut’s
dir irgendwo weh. Geh schon, aber räum deine Sachen auf. Du bist groß genug,
daß ich nicht ständig hinter dir herrennen muß... Du hast dich verändert, mein
Mädchen, früher warst du ordentlicher.«
    Früher. Du weißt nicht einmal von was...
    »Nun schau mich nicht an, als wenn ich
dich geschlagen hätte... Los, geh schlafen. Ich tu’s auch.«
    Diesmal ist es soweit, alle schlafen,
er wird kommen, und ich werd’ es ihm sagen. Kein Badezimmer mehr. Ich will in
meinem Bett bleiben, in meinem Zimmer bei meiner Schwester, wie alle anderen
kleinen Mädchen.
    Ich bin eingeschlafen. Wie dumm von
mir. Wieder weckt er mich auf, ich hätte nicht einschlafen dürfen, so hätte ich
mich in meinem Zimmer zur Wehr setzen können.
    Das Neonlicht im Badezimmer. Sein
brauner Bademantel. Jetzt tu’ ich’s, ich sage ihm: »Ich warn’ dich jetzt, du
hörst auf damit! Ich hab’s satt bis oben hin! Ich will nicht mehr! Ich hab’
genug! Ich ertrag’ nicht mehr, daß du mich anrührst! Laß mich in Ruhe.«
    Ich wollte nicht weinen. Ich wollte
zornig sein. Aber er ist dennoch überrascht.
    »Ach so? Dann werde ich dir eine
Kleinigkeit sagen... hier befehle ich, und du hast zu kuschen, verstanden?
Vorher hast du’s gern gehabt, wenn ich dich in deinem Bett streichelte, du hast
dich nicht beschwert. Also hältst du die Schnauze und tust in deinem Interesse,
was ich dir sage!«
    Ich habe gewonnen. Er nimmt den Gürtel,
er schlägt.
    »Ich werde dir die Lust vertreiben,
nein zu sagen... du wirst schon sehen.«
    Ich habe gewonnen, er ist verrückt, er
schlägt wie ein Wahnsinniger, überall auf die Brust, auf die Beine.
    »Du willst heulen? Na, los doch.
Wenigstens wirst du wissen, warum du heulst.«
    Ich habe nie wieder damit angefangen.
Es war das einzige Mal, daß ich in diesem Ton mit ihm gesprochen habe, wo ich
gesagt habe: »Ich hab’s satt bis oben hin.« Ich habe so viele Schläge bekommen.
Noch nicht einmal das hat ihn daran gehindert, danach zu tun, was er wollte, in
diesem verfluchten Badezimmer. Dreimal pro Woche mußte ich gefaßt sein auf
nächtliches Gewecktwerden und das Badezimmer. Und in dieser Nacht hat er mir
noch mehr weh getan, nicht nur weil er mich mit dem Gürtel verdrosch, sondern
vor allem weil er mir glauben machen wollte, ich würde das gern haben, da ich
angeblich nichts gesagt hatte. Das,

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