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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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kennen niemanden.«
    »Nathalie... du bist so aggressiv seit
einiger Zeit... Gut, es ist ein bißchen eng, aber nicht für lange. Zwei Monate...«
    Ich betrachte die
übereinandergestellten Betten, die aufgeschichteten Möbel. Es ist mies. Aber
ist ist wundervoll. Kein Platz. Er wird mich nirgends in die Enge treiben
können. Unmöglich, sich in diesem provisorischen Loch auch nur eine Sekunde
lang abzuseilen. Ich mache einen Rundgang.
    Ein WC in der Mitte wie ein Denkmal und
alles Übrige darum herum aufgestapelt. Kein Riegel, keine Tür, kein
abschließbares Badezimmer.
    »Natürlich wird dein Vater jeden Tag
eine weite Strecke zur Arbeit haben.«
    Fünfzig Kilometer sind nichts. Ich
wünsche ihn Millionen von Kilometern entfernt. Sie haben alle etwas gefunden,
um das sie sich kümmern. Meine Mutter spricht nur von ihrem Laden, ich verstehe
sie. Sie will arbeiten. Sie will das Wohl ihrer Kinder. Das Wohl. Und ich?
    Ich bin allein, sitze auf einem Karton,
mit einem Stapel Schulbücher. Mir ist alles egal. Ich selbst bin mir egal, ich
verabscheue mich. Ich habe keine Ahnung, wie ich aus dieser Scheiße
herauskommen soll. Zwei Monate zu fünft in diesem Loch, das ist alles, was die
Zukunft mir bietet. Aber ich kann dem Herrgott trotzdem dankbar sein.
    »Aber was hat das Mädchen? Sie wird
verrückt!«
    Ich tanze, ich strecke die Arme zum
Himmel, ich drehe mich um mich selbst wie ein Kreisel. Ich danke dem lieben
Gott dafür, daß er mir zwei Monate Sicherheit in diesem Loch gewährt. Er hat
sich meiner erbarmt. Ich habe eben verstanden, wie wunderbar das ist. Das Leben
ist schön. Alles ist bestens...
    »Ich habe eine vollkommen verrückte
Tochter...«
    Gott, ich bitte dich um Verzeihung,
weil ich dich beleidigt habe. Danke. Du bist wunderbar! Mach, daß es andauert.
Mach, daß es andauert. Mir ist ganz gleich, was später geschieht, morgen oder
übermorgen. Vollkommen schnuppe. Das ist der schönste Tag meines Lebens! Mein
Vater wird von seiner Arbeit in der Stadt festgehalten werden. Du bist frei,
altes Mädchen! Liebe machen... das schlag dir aus dem Kopf... schau, daß du weg
kommst... mit deiner Scheißliebe.
    Ruhiger Morgen. Ich mache das College
ausfindig. Der Verwaltungsvorgesetzte ist ein Blödian, alle sind blöd.
    »Sie sind in der dritten, aber Ihr
Allgemeinniveau ist nicht sehr gut.«
    »Das kommt daher, weil ich am Jahresende
geboren bin, also bin ich älter als die anderen.«
    »Was ist da geschehen? Bis zur vierten
sehe ich ausgezeichnete Noten... Im Moment dagegen... wird wohl etwas Fleiß
vonnöten sein, meine Kleine. Was wollen Sie später werden?«
    »Rechtsanwältin...«
    »Na, wenn Sie so weitermachen, werden
Sie es nicht so weit bringen! Ich rate Ihnen, strengen Sie sich an!«
    Er ist blöd. Eines Tages werde ich
Rechtsanwältin sein, das steht fest. Im Augenblick habe ich anderes zu tun als
idiotische Hausaufgaben zu machen.
    Sogar die Klassenkameraden sind blöd.
    »Rechtsanwältin? Du machst dir was vor...«
    »Ich mache mir was vor, seit ich zehn
Jahre alt bin, stell dir vor... Ich weiß, daß es nicht einfach ist. Neulich
habe ich in Le Dauphine die Geschichte einer Rechtsanwältin gelesen, ihr
Mandant hat sie niedergeschossen. Er behauptete, daß sie ihn schlecht
verteidigt hätte. Ich habe nicht die Absicht, mich niederschießen zu lassen.«
    »Wenn du bis dahin keine besseren Noten
hast... du kannst dich ja anstrengen...«
    Wieso mischt sie sich ein, diese
Idiotin! Sie ist fünfzehn, sie ist älter und trotzdem weiß ich mehr darüber als
sie. Dich hat dein Vater nicht vergewaltigt... Ich möchte wissen, ob es andere
Mädchen wie mich gibt. Aber das sieht man niemandem an der Nasenspitze an. Ich kann
mir noch so sagen, daß man es nicht sieht, ich habe den Eindruck, man sieht es
mir an. Unmöglich, daß die Leute es nicht sehen! Manchmal möchte ich sie
schütteln, weil sie nichts sehen, und manchmal bin ich froh darum. Wenn sie es
wüßten, würde ich vor Scham sterben.
    »Nathalie, komm ein bißchen zu mir, was
ist los mit dir?«
    Mama spricht von der Pubertätskrise.
Weil ich nichts für die Schule tue. Alle versuchen, mich zum Arbeiten zu
überreden. Ich bring’s nicht fertig. Ich kann mich nicht konzentrieren.
    »Gefällt es dir nicht in diesem
College?«
    »Sie sind blöd.«
    »Wie redest du eigentlich! Wenn dein
Vater dich hörte...«
    Sie wirft alles über den Haufen! Warum
versucht sie nicht zu verstehen?
    »Zu allen bist du unleidig, du
gebrauchst vulgäre Wörter, du tust

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