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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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Türschlüssels,
den er zweimal herumdreht. Er ruft mich, mit einer sanften, ekelerregenden
Stimme.
    »Nathalie?«
    Er ist im Nebenzimmer, wo die Matratze
liegt. Er hat sie absichtlich dagelassen. Eine Falle.
    Die süßliche Stimme drängt.
    »Nathalie? Komm...«
    Ich mache einen Schritt, ich weiche
zurück, ich mache einen weiteren, wieder weiche ich zurück. Die Stimme wird
bedrohlich, es ist ein Befehl.
    »Nathalie!«
    Wenn ich nicht hingehe, werde ich eine
Tracht Prügel bekommen. Er hat seinen Gürtel. Seinen schönen Gürtel vom
Vatertag. Schwarz, mit der vergoldeten Schnalle. Niedergeschlagen gehorche ich.
Ich gehe auf das dunkle Zimmer zu. Er ist schon nackt. Er schaut mich an wie
ein Mann, der noch nie im Leben eine Frau gesehen hat.
    »Zieh dich aus.«
    Wieder ein Befehl. Ich darf meine
Unterwäsche anbehalten. Ist das ein Recht oder eine Pflicht? Ich weiß nicht. Er
hat es gesagt, das ist alles. Und der Gürtel liegt schlaff auf der Matratze.
    Er wirkt erregt. Er nimmt mich bei der
Hand, zieht mich vor die Matratze und kniet nieder, wobei er mich immer noch
wie ein hungriger Köter anschaut. Wenn ich nur die Augen schließen könnte,
dieses Gesicht nicht sehen, während er meinen Körper streichelt.
    »Tu das nicht, Papa... ich bitte dich.«
    Aber er hört nicht, er hört nicht mehr.
Verglichen mit den anderen Malen hat sich bei ihm irgend etwas verändert. Wie
gewöhnlich hört er nicht auf meine Ablehnung, er sieht nicht, daß ich weine,
aber es ist noch schlimmer, weil ich nicht existiere. Allein mein Körper
interessiert ihn. Ich selbst bin nicht vorhanden.
    Nur ein Körper, den er auf die Matratze
wirft; er zerreißt die Unterwäsche mit einem sonderbaren Lächeln. Ein
widerwärtiges Lächeln. Ich hasse ihn so sehr! Das ist so heftig, daß ich
aufhöre zu weinen. Meine Kinnbacken schmerzen, so sehr beiße ich die Zähne
zusammmen. Die Muskeln schmerzen, so sehr verkrampfe ich mich. Ihm ist das
recht.
    Es läuft gut. Er kommt in Fahrt, wie er
sagt. Er bewegt sich wie ein lächerlicher Hampelmann, er hält inne und schaut
mich an.
    »Gefällt’s dir? Magst du das, mein
Hürchen?«
    Er zappelt herum. Das nennt er Liebe
machen!
    »Zeig mir, daß du’s magst, das
Liebemachen.«
    Wie üblich ist mir schlecht. Ich möchte
ihn ganz herauskotzen aus mir. Er ist widerlich, dieser Hampelmann, der
herumzappelt und sich auf mir ausleert, und dieser Gesichtsausdruck, den er
hat. Glücklich, mir weh zu tun und mich zu besudeln.
    Der Drecksack.
    Schweigend ziehe ich mich wieder an.
    »Das ist noch nicht alles, die Kartons
müssen in die Wagen hinuntergebracht werden.«
    Ich trage die Kartons, gehe die Treppen
hinunter, steige sie wieder hinauf. Er ebenso. Wir sehen normal aus: Wie ein
Papa und seine kleine Tochter, die umziehen. Im Hof vor dem Haus schauen uns
die Passanten an. Jemand grüßt ihn:
    »Sie ziehen also um?«
    Ja, wir ziehen um. Wir schaffen sogar
die Matratze weg. Wir tragen sie gemeinsam. Ich helfe ihm, sie aufzurollen und
sie auf den Hintersitz zu klemmen. Ich sehe seine Hand neben meiner, ein Bild
steigt in mir hoch, ein Blitzlicht. Eine lange Nadel, die sich senkt und diese
Hand durchbohrt, in das Fleisch eindringt.
    »Steig ein!«
    Ich setze mich auf den Vordersitz, ich
sehe mein Gesicht im leicht staubigen Rückspiegel. Ich bin totenblaß.
Schneeweiß. Meine Halsmuskeln schmerzen. Ein Kloß im Hals.
    »Mach nicht so ein Gesicht. Ich warne
dich... Wenn du ein Wort sagst...«
    Ich werde Hiebe bekommen, wenn ich so
dreinschaue.
    »Wir sind spät dran. Deiner Mutter
werden wir sagen, daß die Straßen verstopft waren. Hast du gehört, was ich dir
gesagt habe?«
    Was ich vor allem höre, während ich aus
dem Fenster schaue, ist die Stimme von vorhin. Die neuen Wörter. Mir ist kalt.
Ich stinke. Ich habe einen üblen Geruch an mir. Früher flehte ich den lieben
Gott um Hilfe an. Jetzt flehe ich die Lastwagen an. »Großer Lastwagen, fahr auf
uns drauf, zerquetsch ihn, zerquetsch ihn!«
    »Ihr habt aber lange gebraucht!«
    Mama ist überglücklich, über unsere
Verspätung macht sie sich keine weiteren Gedanken. Sie packt die Kartons aus
und räumt begeistert ein.
    »Wißt ihr, ich glaube, wir werden uns
hier wohlfühlen. Das Dorf wirkt anheimelnd.«
    Ich meckere:
    »Das ist eine lausige
Zweizimmerwohnung.«
    »Nicht für lange, mein Schatz... Sobald
die früheren Besitzer die Wohnung über dem Laden geräumt haben, ziehen wir dort
ein.«
    »Ich hab’ genug vom Umziehen. Dieses
Nest ist schäbig. Wir

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