Ich war zwölf...
morgen? Sie kommt immer schlechter aus dem Bett...«
»Es wird nicht lange dauern. Sie soll
einen Brief tippen, ich schicke sie gleich danach ins Bett.«
»Versprichst du’s?«
»Ich sag’ dir doch, es ist nur ein
Brief!«
Sogar meine Mutter ist still, wenn er
diesen Ton anschlägt. Der Möchtegernchef. Der Ehemann, der Vater. Niemals wird
sie mich seinen Klauen entreißen. Sie hat nicht die nötige Kraft. Zu sehr das Gehorchen
gewohnt. Zu sehr gewohnt, von Erziehung und Arbeit reden zu hören, von
Autorität und Verboten. Ein Mustervater. Mama sieht meinen Blick nicht. Sie
liest nicht, was er ausdrücken möchte.
Er schlingt seinen Konservendosenfraß
hinunter, raucht eine filterlose Gauloise, ohne mich aus den Augen zu lassen,
und ich lasse das Stück Brot nicht los, zerkrümele es auf dem Tisch. Ich höre
auf die leisen verstohlenen Geräusche der anderen, die sich niederlegen,
schlafen werden. In Frieden.
Mir ist kalt und heiß. Meine Haare
gehen mir auf die Nerven. Der Geschmack des Bieres in meinem Mund macht meinen
Speichel bitter. Immer wieder zähle ich die Krümel.
»Geh ins Büro, dort wartet Arbeit auf
dich. Fang schon ohne mich an.«
Ich gehe durch die Wohnung, laufe dabei
den Flur entlang. Ich gehe in das Büro mit dem Teppichboden. Die Uhr zeigt elf.
Ich weiß nicht, wie die letzten zwei Stunden verstrichen sind. Er ist
heimgekommen, hat seine Konservendose gegessen, seine Zigarette geraucht. Und
all das in zwei Stunden. Mir kam es so vor, als seien nur zehn Minuten
vergangen und als hätte sich Mama noch nicht mit ihrem Schlafmittel zu Bett
gelegt.
Niemand ist im Haus. Es ist leer. Es
gibt nur mich und meine Angst.
Es gab nur mich, meine Angst und meine
Resignation. Er hatte jetzt freie Bahn. Bevor das Teppichbodenbüro existierte,
bestand noch ein Risiko, es war ein Teil des Spiels, begrenzte den Schaden auf
zwei, drei Abende pro Woche — ich erinnere mich nicht einmal mehr genau. Manchmal
gab es nur Pornokassetten. Jetzt hatte er das ausschließliche Recht auf mich
und auf die Nacht. Es war wie zu jenen Zeiten, als der Herr das Recht über
Leben und Tod seines Sklaven besaß. Sein Objekt.
Ich hatte resigniert. Ich mußte
gehorchen, ich gehorchte widerspruchslos, als sei ich einverstanden.
Sehe ich aus wie eine willige Dirne?
Sehe ich aus wie eine Dirne, die vom Sex besessen ist? Denken Sie das? Es ist
mir schnuppe. Nein, nicht wirklich, es ist mir nicht schnuppe. Ich habe
versucht, mich nicht darum zu scheren. Es bleibt. Es ist da, für den Rest
meines Lebens, unauslöschlich. Die unvergeßliche Scham. Noch heute habe ich auf
der Straße das Gefühl, daß die Passanten es wissen. Daß sie es mir vom Gesicht
ablesen. Ich reiche jemandem die Hand und sage mir: »Er weiß es.«
An jenem Abend habe ich mir noch
stärker als sonst gewünscht, er möge krepieren. Wenn es da Abstufungen geben
kann. Und ich will DIE TODESSTRAFE für diejenigen, die wie er sind. Ich will,
daß sie leiden, daß sie gequält werden, wie sie ihre Kinder quälen, und daß sie
danach krepieren. Erst danach. Sich über seine eigene Tochter herzumachen, ist
der Beweis, daß man kein Mann ist, sondern ein Stück Dreck. Für alle
Dreckskerle wie er, die in diesem Augenblick zu leben wagen, die der Ehefrau
Geschichten erzählen, die auf der Straße, im Supermarkt so tun, als wären sie
gute, mustergültige Familienväter, die sagen: »Mach dies, tu das nicht, geh ins
Bett, zeig dein Zeugnis. Wer ist diese Freundin? Wer ist dieser Freund?
Gehorche, sei still, iß«, die sagen: »Ich ernähre die Familie, ich bin das
Oberhaupt.« Für all die, die das Leben ihrer eigenen Tochter zerstören, die sie
für immer zugrunde richten, will ich DEN TOD. Ich habe kein Recht, ihn zu
fordern? Wollen Sie, daß ich die andere Backe hinhalte? Ein Mädchen hat mir
eines Tages gestanden, daß sie einmal vom Freund ihres Vaters vergewaltigt
worden ist. Sie kann vergessen. Weil es ein Fremder war. Nicht ihr Vater. Weil
er sie ein einziges Mal vergewaltigt hat, nicht jahrelang. Mit fünfzehn ertrug
ich bereits seit zweieinhalb Jahren die Quälereien meines Vaters. Man schloß
mich nicht in einen Schrank ein, man prügelte mich nicht mit einem Besen oder
einer Bratpfanne, man verbrühte mich nicht, man entzog mir nicht die Nahrung...
es war schlimmer. Ich war kein geschlagenes Kind. Ich wurde Tag für Tag
vergewaltigt. Mit Gürtelhieben wie mit Pornokassetten, in allen Stellungen, mit
allen Phantasmen eines Besessenen, den ich zum Vater
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