Ich war zwölf...
fertig ist. Er versucht, sich so
lange wie möglich zurückzuhalten, und ich schließe so fest die Augen, daß mir
die Lider weh tun. Es stinkt, dieses Schmirakel.
Er ist fertig. Ich kann mich schlafen
legen.
»Bleib da!«
Oh, nein! Das darf nicht wahr sein. Er
wird nicht noch einmal anfangen!
Diesmal hatte ich am Ende eine
Flüssigkeit im Mund. Die, die sich gewöhnlich über meinen Bauch ergoß, da ich
die Pille nicht nahm und er »aufpassen« mußte. Dieses Mal wußte ich, welchen
Geschmack das hatte, diese unaussprechliche Sauerei. Er hatte mich zwingen
wollen, alles hinunterzuschlucken, doch ich nahm ein Taschentuch, um alles
wieder auszuspucken. Um es herauszukotzen.
Ich habe keine Worte mehr, um die
Erniedrigung, den Ekel auszudrücken. Ich kroch auf allen vieren am Boden herum,
um meine Kleider einzusammeln, mein ganzer Körper war von einer ungeheuren
Abscheu erfaßt. Ich hätte gewollt, daß der Ekel mich umbringt und ihn gleich
mit. Diese Qual... mein Gott, diese Qual, wie sich davon befreien? Bleichmittel
schlucken, mich ertränken, mir den Mund herausreißen?
Ich drehte mich nach allen Seiten in
meinem Bett herum, stieß meinen Kopf ins Kissen, versuchte, nicht mehr zu
atmen, schlug mit meinen Fäusten auf die Decken, schnitt mir mit den Nägeln ins
Fleisch. Maßlose Wut und Gewalt überkamen mich in dieser Nacht. Ich glaubte
mich auf dem Gipfel alles Entsetzlichen, ich konnte nur noch sterben. Ich bin
aufgestanden, ging in die Küche und steckte den Kopf unter den Wasserhahn, ich
nahm Geschirrspülmittel, um mich wieder und wieder zu waschen. Man weiß nicht,
was man anderes tun soll als sich waschen. Und würde man sich bis ans Ende
seiner Tage waschen, man könnte diesen Dreck nie loswerden. Man dürfte nicht
mehr aus dem Wasser auftauchen, niemals. Oder müßte sich in ein Flammenmeer
werfen, lichterloh brennen, zu Asche werden. Alles ist beschmutzt, durch nichts
kann man mehr sauber werden. Man wird verrückt vor lauter Suchen nach
Sauberkeit.
Wieder in meinem Bett, biß ich in
meinen Teddybär, biß ich von neuem in mein Kissen, kämpfte ich mit den Federn.
Und plötzlich kam mir der Gedanke an
Rache. Und vielleicht auch der Gedanke für meine Rettung. Bevor er mich berührt
hatte, verbot er mir alles. Ausgehen, ins Kino gehen, mich schminken, rauchen,
mich anders frisieren. Bis zu meiner Volljährigkeit sollte ich einem weiblichen
Ideal entsprechen: die natürliche Frau. Was war ich dumm! Das ist die Lösung!
Jetzt weiß ich, wie ich ihn loswerden kann! Es ist ganz einfach. Ich muß nur
genau all das tun, was er verbietet. Das wird er nicht ertragen. Ich werde
rauchen, mich schminken, abends ausgehen, herumstrolchen, wie er sagt... Auch
stehlen werde ich... er wird mich so satt bekommen, daß er mich zu meinen
Großeltern nach Belgien schicken wird.
Ich werde all das werden, was er
verabscheut. Die hinterhältige, tückische Halbwüchsige, die Lügnerin, Diebin
mit roten Lippen und Wimperntusche. Ich werde Geld stehlen, um Zigaretten zu
kaufen. Ich werde mich vulgär ausdrücken, ich werde grobe Worte benutzen.
Scheiße, Saftladen... Er wird schon sehen, dieser Schmutzfink.
Dieser Gedanke hat mich innerlich
gereinigt. Auf einmal war ich sauber. Nichts reinigt besser als Rachegedanken
und die Rache selbst.
6
Mama klebt Preisschilder auf die
Konservendosen. Ich räume sie in ein Regal.
Sie hat es satt. Einen
Lebensmittelladen führen, warum nicht, das tun auch andere, aber er hatte
versprochen, ihr dabei zu helfen, und statt dessen läßt er sie mit der Leitung
des Geschäftes ganz allein.
»Reich mir die Aprikosenmarmelade
herüber...«
»Mama, warum verläßt du ihn nicht?«
»Eines Tages werde ich mich scheiden
lassen. Ich will warten, bis ihr groß seid.«
Sie sieht grau im Gesicht aus. Ich
kauere neben ihr vor den verdammten Konserven und sehe die Ringe unter ihren
Augen aus der Nähe.
»Aber wir sind schon groß.«
»Ich will nicht, daß er mit deinem
kleinen Bruder dasselbe macht, was er mit dir gemacht hat. Er wäre fähig, ihn
zu entführen. Du kennst deinen Vater.«
Mein Vater, das ist ihr Mann. Seit
einiger Zeit habe ich unerträgliche Visionen im Kopf. Tut er ihr dasselbe an
wie mir? Jedesmal wenn die Vision kommt, jage ich sie weg. Er und sie zusammen...
»Oma hat mir das mit der Scheidung
erzählt, als du versucht hast, mit mir fortzugehen... warum hast du’s nicht
noch einmal getan?«
»Das ist eine alte Geschichte...«
»Ja, aber... er hat dich mit einer
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