Ich war zwölf...
hatte. Ich war eine Hure.
Fügsam. Folgsam. Resigniert.
Ich lutsche ein Pfefferminzbonbon, und
ich erledige die Arbeit. Rechnungen und Briefe, die zu tippen sind,
rechtfertigen meine Anwesenheit in dieser teuflischen Falle. Ich bin fertig.
Er kommt herein mit einem Lächeln bis
zu den Ohren, verriegelt die Tür.
Ich erinnere mich an eine lange
zurückliegende Begebenheit, in einem anderen Leben, als ich Kind war. Die Sonne
schien im Winter, er stand vor der Haustür, und er streckte mir eine Puppe
entgegen. Ich habe mich an ihn geklammert, er hat mich in seine Arme genommen,
er hat mich mit einem Arm hochgehoben und mit dem anderen ließ er die Puppe
tanzen. Gäbe es von diesem Augenblick eine Fotografie, ich würde sie
verbrennen.
In mir sind drei Personen. Das Kind
Nathalie. Es ist tot.
Die Hure Nathalie. Ich befreie sie vom
Dämon.
Und ich. Ich nenne mich »die andere«.
Von Zeit zu Zeit spricht die andere zu
Ihnen, wie in diesem Moment. Die andere will Ihnen zu verstehen geben, daß Sie
die Hölle des Inzests betreten. Ich bin kein Schriftsteller, vielleicht werde
ich einer, ich spreche mit meinen Worten, meinen Alpträumen, meinen Bildern zu
Ihnen, ich versuche, eine Autopsie der Ereignisse zu erstellen. Der
Erfahrungen, die mir aufgezwungen wurden. Mir nimmt diese präzise Nachforschung
den Atem, wie Ihnen vielleicht ebenso. Daran kann ich nichts ändern. Es gab
nichts anderes als diese Atemnot. Da war ein dunkler Gang: Ich stand am einen
Ende und er, der Dreckskerl, am anderen. Es gab kein Licht mehr. Kein Licht
fiel auf die anderen oder nur ein ganz schwaches. Zuweilen gelang es mir, sie
zu unterscheiden, wie sie da ein anderes Leben als ich lebten, außerhalb dieses
Ganges. Meine Mutter, meine Schwester, mein kleiner Bruder. Eine Freundin, ein
Lehrer, eine Nachbarin. Die Wirklichkeit, die wahre, meine, hinderte mich
daran, an ihrer Existenz teilzunehmen. Die anderen Menschen waren verschwommen.
Ich stand auf der Bühne eines Horror-Theaters und spielte die erste Rolle. Ich
war die wichtigste Person. Neben ihm.
Er ist Nazi. Er glaubt an Ordnung und
Disziplin. An die Reitpeitsche. Er findet Vergnügen am Quälen. Am Dominieren.
Zumindest glaubt er das. Er glaubt auch, daß das Geschlecht, sein Geschlecht,
ein Machtinstrument ist. Wie alle jämmerlichen Wichte und Feiglinge. Er ist
impotent. Es ist paradox, und ich bin natürlich erst heute dazu fähig, das zu
analysieren. Dieser Pornoversessene brauchte eine Inszenierung von Bildern,
Alkohol, Drogen, Gürtel als Peitsche, um sich zu befriedigen. Ich war die
Geisel dieses degenerierten Nazi. Er hatte mich in seinen Todesgang
eingesperrt, mit Furcht, Angst und Qual als Begleiterscheinungen des
Gefängnisses. In einem Alter, wo man Beistand, Zuneigung, Liebe, Erklärungen
und Antworten auf so viele Fragen sucht.
Deswegen ersticke ich an diesem Bericht
und Sie mit mir. Aber ich habe mir geschworen, nichts auszulassen. Die
Austreibung des Dämons, der Übergang von der Hure Nathalie zur anderen kann nur
um diesen Preis verwirklicht werden. Sie zahlen ihn mit mir, das ist das
mindeste, was Sie tun können.
Dieses Lächeln bis zu den Ohren. Er
kümmert sich einen Dreck um mich. Er setzt sich an seinen Ministerschreibtisch
und stellt eine Flasche Champagner auf den Tisch, dazu legt er ein kleines
Päckchen.
»Heute abend feiern wir. Wir werden all
das begießen. Ich habe eine Überraschung für dich. Setz dich dort hin.«
Ich setze mich ihm gegenüber, auf die
andere Seite des großen Schreibtisches. Er öffnet die Flasche, der Korken macht
einen höllischen Lärm, aber das stört ihn nicht, der Teppichboden schluckt alle
Geräusche.
Er wischt zwei Sektschalen aus, gießt
ein und steht auf, um die Hauptbeleuchtung auszuknipsen. Er legt ein Handtuch
über meine Schreibtischlampe, um das Licht zu dämpfen.
»Ich habe dir etwas zu sagen.«
Es ist das erste Mal, daß ich
Champagner trinke. Zuvor, selbst zu Weihnachten, stand es außer Frage, die Nase
in ein Glas zu stecken. Erziehung verpflichtet. Ich habe die Erziehung
gewechselt, könnte man sagen.
»Du mußt etwas wissen. Ich will, daß du
heute abend alles machst, was ich dir sage. Ich will keine Ausflüchte hören.
Vergiß nicht, daß ich hier den Ton angebe. Ansonsten... wäre ich gezwungen, dir
das Böse mit dem hier auszutreiben.«
Er hebt sein Glas, trinkt, und ich
mache es ebenso. Mit unwissender Miene strecke ich den Arm aus, um das Licht
wieder anzuknipsen.
»Tstt... tstt... was hab’ ich
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