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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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Frau
betrogen...«
    »Das ist nicht mehr wichtig.«
    »Bist du sicher?«
    »Aber was hast du denn? Wie kommst du
dazu, das wieder zur Sprache zu bringen?«
    »Ich hab’s satt. Ich ertrag’ ihn nicht
mehr.«
    »Ich auch nicht.«
    »Ich weiß.«
    »Du weißt gar nichts... In deinem Alter
weiß man noch nicht viel und muß alles lernen. Vor allem in der Schule, und
soviel ich weiß, steht es mit der Schule im Augenblick nicht gerade blendend.«
    »Ach, die sind blöd.«
    »Sprich nicht so! Gebrauchst du jetzt
grobe Worte? Du wirst unerträglich!«
    »Wenn ich unerträglich bin, braucht ihr
mich nur zur Großmutter nach Belgien zu schicken!«
    »Darum geht es doch nicht. Schau, mit
fünfzehn Jahren sind alle ein bißchen so, man lehnt sich auf... man glaubt, man
ist größer als man wirklich ist... Glaub mir, bleib so lange wie möglich ein
kleines Mädchen, und kümmere dich nicht um die Probleme der Erwachsenen. Du
hast noch so viel Zeit.»
    »Ich bin kein kleines Mädchen mehr. Ich
hab’s satt, eingesperrt zu sein. Ich will wie die anderen ins Kino gehen.«
    »Wir werden deinen Vater fragen.«
    »Kannst du das nicht selbst
entscheiden? Ein einziges Mal? Immer er...«
    »Er hat euch erzogen so gut er konnte.
Ich bin einverstanden mit seinen Grundsätzen. Was möchtest du denn tun? Abends
ausgehen, herumlungern wie diese Mädchen, die sich anziehen wie...«
    »Wie Huren?«
    »Machst du das absichtlich?«
    »Was denn, was ist schon dabei? Habe
ich kein Recht, in meinem Alter tanzen zu gehen? Wenn man tanzen geht, läßt man
sich an der nächsten Straßenecke vergewaltigen, was? Wenn man fern sieht, wird
man kriminell? Wenn man ins Kino geht, dann um sich im Dunkeln befummeln zu
lassen, ich habe genug von diesen Verboten...«
    »In deinem Alter sind sie notwendig.
Dein Vater...«
    »Hör mit meinem Vater auf... Er kotzt
mich an, mein Vater... er hat alle Rechte...«
    »Nathalie!«
    Ich lasse die Konservendosen fallen und
laufe davon.
    An diesem Tag und an anderen Tagen, an
die ich mich nicht mehr so gut erinnere, habe ich versucht, es ihr begreiflich
zu machen. Aber ich druckste herum. Ich sprach in Andeutungen. Alles endete
mit: »Sie ist in ihrer Pubertätskrise.«
    Mama ist eine normale Mama. Ich wollte,
daß sie versteht, was sich abspielte, aber ich konnte es ihr nicht sagen.
SCHAM. Jedesmal wenn ich das dringende Bedürfnis hatte, sie möge hinter meinen
Worten die Wahrheit entdecken, sprachen wir nicht von derselben Sache.
    War ich allein, dachte ich mir Fragen
und Antworten aus und verbannte sie dann sofort wieder aus meinen Gedanken. Wie
ihr diese schmutzigen Dinge sagen? Ich hatte sie schon zu lange über mich
ergehen lassen, um nicht selbst schuldig zu sein. Und dann würde er mir mit
Sicherheit eine Tracht Prügel verabreichen, die ich nicht überleben würde. Und
dann war ich überzeugt, daß sie glauben würde, ich hätte ihn gereizt. Daß ich
die kleine Hure war. Eine Verdorbene. Was Franck betraf, so hatte er ihr ja
auch erzählt, was er wollte. Sie steckte mit mir in der Falle. Sie vertraute
mir nicht mehr. Auch wenn sie nicht alles geglaubt hatte. Beispielsweise
glaubte sie nicht, daß ich im Alter von zwölfeinhalb mit einem Jungen
geschlafen hatte. Wie ihr also mit einem Mal verkünden: »Er hat gelogen, um in
aller Ruhe mit mir schlafen zu können. Er sagt, das ist die Liebe eines Vaters
zu seiner Tochter, und er ist stolz, der erste gewesen zu sein. Der
Lehrmeister.« Wie jener arabische Vater, der jahrelang mit seiner Tochter
Sodomie trieb, um ihre Jungfräulichkeit zu erhalten. Das habe ich in diesen
Tagen im Nice-Matin gelesen. Jedem seine Horrorgeschichte. Er hätte sie
auch auf dem Sklavenmarkt verkaufen können. Eine Jungfrau — Jungfrau ist
wichtig — das war früher viel wert. Meiner ist nicht Araber, er ist Sadist. Ein
katholischer Sadist. Er hatte sich meine Unschuld vorbehalten. Alles, was an
mir unschuldig war.
    Mama war der letzte Mensch, mit dem ich
hätte sprechen können. Ich hab’s nicht fertiggebracht. Ich sah schon ihre
großen dunklen Augen vor mir, weit geöffnet vor Entsetzen. Eine abscheuliche
Lüge, die er schnell aufgeklärt hätte. Der König der Lügner, der König der
Dreckschweine.
    Es war da noch etwas anderes. Ihre
Niedergeschlagenheit. Mama war nicht glücklich mit diesem Kerl und blieb bei
ihm, ertrug dieses blödsinnige Leben für uns Kinder. Eine scheinbar tadellose
Familie, die Kinder pünktlich im Bett, sauber, gut erzogen. Nur ich
»profitierte« von dem

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