Ich war zwölf...
nicht liebe«. Ich
habe einen dicken Kopf, ein dreckiges Gesicht. Auch wenn ich mir das Gesicht
mit Schmirgelpapier abgerieben hätte — ich fühle mich ständig schmutzig, meine
Haare kleben am Kopf.
»Ich hab’ nichts Besonderes gemacht, er
ist mir auf den Wecker gefallen, das ist alles.«
»Warum bist du nicht zu mir gekommen?«
Flo, die kluge, saubere, nette. Die
einzige, die mir und meinen Dummheiten Aufmerksamkeit schenkt.
»Du solltest dich wegen einem Typen
nicht so grämen. Wer ist es eigentlich?«
»Du kennst ihn nicht, obendrein hat er
sich verdrückt.«
»Ein Grund mehr. Erzähl’s mir schon,
das wird dir guttun.«
»Zwecklos.«
»Na, was ist, vertraust du mir nicht?
Ich werd’s nicht rumerzählen, nur daß du’s los bist.«
»Lohnt sich nicht, ich sag dir doch, er
hat sich verdrückt.«
Ich werde ihr doch nicht von meinen
Qualen berichten. Ich hänge zu sehr an ihr. Sie würde mich mit anderen Augen
ansehen. Überhaupt geht mir heute alles auf die Nerven. Ich ertrage diese
Klasse nicht mehr, die Lehrer, die Schüler und auch mich selbst. Ich verstehe
gar nicht, was ich von der Tafel abschreibe. Ich hebe die Hand:
»Was ist, Nathalie?«
»Muß mal raus.«
»Sind Sie krank?«
Scheiße, man muß krank sein, um ein
bißchen Luft schnappen zu dürfen.
»Ich muß zur Toilette.«
Das Scheißhaus. Es ist der einzige Ort,
wo man ungestört heulen kann, während die anderen im Klassenzimmer sind. Ich
setze mich auf den Boden und weine heftig. Ich kann nicht mehr.
»Was ist Ihnen zugestoßen, Nathalie?«
Der Schulaufseher. Scheiße. Was will
denn der? Den Psychologen herauskehren? Jeden Morgen nimmt er mir meine
Glimmstengel ab, um sie in seinem Winkel zu rauchen. Ich werd’ doch nicht
diesem Kerl erzählen, was mit mir los ist! Er will mir helfen, aber so wird er’s
nicht schaffen.
»Na, kommen Sie schon. Kommen Sie da
raus...«
Er will sich mit mir in seinem Büro
unterhalten. Das auch noch. Ich hab’s satt, auf nichtssagende Fragen zu
antworten.
»Also, was ist los?«
»Ich habe keine Lust, darüber zu reden.
Nichts ist los.«
»Ich bin da, um Ihnen zu helfen...
Schauen Sie, man heult nicht am frühen Morgen wie ein Schloßhund auf der
Toilette.«
»Man macht, was man will.«
»Gibt’s Probleme zu Hause, ist es das?«
»Nein, das ist es nicht, und es geht
niemanden etwas an.«
»Versuchen Sie, ein bißchen weniger
aggressiv zu sein. Entspannen Sie sich. Wir können unter vier Augen reden. Wenn
ich etwas für Sie tun kann...«
Du kannst überhaupt nichts tun,
Dummkopf. Du spielst dich als Psychologe auf, ohne einer zu sein. Ich kann dir
etwas X-beliebiges erzählen, du wirst es in der Akte mit der Aufschrift
»Pubertätskrise« ablegen. Du wirst danach annehmen, du hättest gute Arbeit
geleistet. Bring es selbst heraus, wenn du es wissen willst. Ich kann mir deine
Visage schon vorstellen, wenn ich meinen ehrenwerten, so fleißigen Vater anklage.
Du wirst mich für eine Sexbesessene halten. Eine Bekloppte, eine Lügnerin oder
was weiß ich. Was willst du eigentlich? Ich kann dir nicht die Spuren der
Schläge auf den Brüsten zeigen! Weil er mich nur da hinschlägt. Damit man’s
nicht sieht. Nie auf die Arme oder Beine. Nur die Brüste reizen ihn.
»Nathalie... dieses Jahr steht’s
wirklich nicht gut mit Ihnen... Ihre Noten sind verheerend. Sie passen nicht
auf im Unterricht. Meistens schlafen Sie. Wir werden mit Ihren Eltern darüber
reden müssen.«
Meine Eltern. Ein schönes Paar. Sie
schuftet von morgens bis abends, rackert sich zum Wrack. Sie kann nicht mehr
vor lauter beschwipsten Kunden, die kurz vor Ladenschluß ihren Fusel kaufen,
weil es in diesem Nest sonst nichts gibt. Er treibt sich ständig in der Stadt
herum und tätigt seine undurchsichtigen Geschäfte. Daß meine Mutter sich zum
Krüppel schindet, stört ihn nicht die Bohne. Es ist ja ihr Laden, nicht seiner.
Sie hat ihn gewollt, sie hat ihn gekriegt! Je abgearbeiteter sie ist, desto
mehr schläft sie, desto mehr Tabletten nimmt sie. Diese ganze Plackerei kommt
ihm vielmehr entgegen. Um meine Noten schert er sich auch nicht. Er hat nicht
einmal bemerkt, daß ich seit dem Tag, an dem er mich vergewaltigt hat, die
Schlechteste der ganzen Klasse geworden bin. Vorher war ich Klassenerste. Jetzt
bin ich die letzte. Zudem fühl’ ich mich da ganz wohl. Ich gewöhne mich auch an
Champagner und Shit. Ich ertrage den Gürtel. So schlecht geht’s mir gar nicht.
Nicht wahr, du mieser kleiner Psychologe!
»Es ist
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