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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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Blumensträuße hindurch auf
das Glas. Ich weiß nicht mehr, wie viele Burschen drinnen waren. Ist auch
unwichtig. Ich sah Tausende... Es war unmöglich. Ich konnte es nicht tun. Ich
würde es nicht tun. Ganz plötzlich, so wie man niest, hatte ich das
beschlossen. Es war mir egal, ob er mich schlug. Ich würde ihm sagen, ich
wollte nicht. Und dann, vielleicht war es am Ende wirklich nur eine Verzögerung.
Eine einfache Verzögerung. Was kümmerte mich seine Angst?
    Ich mußte ihn noch Papa nennen. Ihm
gehorchen, ihn als Oberhaupt der Familie betrachten, diesen verdorbenen Kerl.
Von mir wird er das nicht bekommen. Es war schon nicht schlecht, die Angst in
seinen Augen zu sehen, wenn er mir im Haus begegnete. Ich verschloß mich.
Unmöglich, etwas zu erfahren. Die Gewißheit, darauf sollte er warten, vor
Ungeduld vergehen, sich noch mehr als ich damit herumquälen.
    Ich träume. Jede Nacht träume ich, daß
ich ein Messer in die Hand nehme, daß ich vorsichtig und geräuschlos Schritt
vor Schritt setze: Ich nähere mich, hebe meinen Arm, ich sehe zum letzten Mal
auf diese unbenutzte Klinge und hoffe, sie wird ihn töten. Das ist ein sehr
hübscher Traum, aber er endet immer gleich schlecht. Denn tatsächlich schläft
mein Vater nicht wirklich, und ich bringe es nie fertig, ihn umzubringen. Nie.
Ich möchte, daß der Tod es übernimmt, mit ihm abzurechnen, da es mir nicht
gelingt. Da die Klinge unbenutzt bleibt.
    Ende des Traumes. Wenn es mir noch
nicht einmal im Traum gelingt, ihn zu töten, wie soll ich mich dann in meinem
tagtäglichen Alptraum verhalten?
    »Du suchst dir einen Typen, schläfst
mit ihm, und danach sind wir aus dem Schneider.«
    »Wir.« Er, nicht ich.
    Es wird keine Typen geben. Ich gehe in
die Bar, aber nur um ein Glas zu trinken. Ich muß mich amüsieren. Auch muß ich
etwas finden, das ihn ablenkt und ihn auf die Palme bringt, damit er diese
Geschichte mit dem Typen an der Bar vergißt. Ich werde ihm eine Überraschung bescheren.
Ich werde diesen schönen Laden hier betreten, ich werde so tun, als suchte ich
eine Postkarte aus, werde sie bezahlen und werde gleichzeitig eine Menge
Füllfederhalter mitgehen lassen. Schöne, mit Goldfedern. Eine Masse Füller. Das
wird ihn rasend machen. Ich werde ihm eine Tonne gestohlener Füllfederhalter
mitbringen. Er wird so wütend wie nie zuvor in seinem Leben sein. Er wird mich
zu Oma nach Belgien schicken. Ich glaub’s nicht wirklich. Ich habe kein Glück.
Das wird nicht hinhauen. Das mit der Zigarette, der Schminke, dem Alkohol hat
auch schon nicht geklappt, aber scheiß’ drauf, ich klaue. Das lenkt mich ab.
Belgien ist mein Traum. Bei mir werden keine Träume Wirklichkeit.
    Aber scheiß drauf, man wird etwas zum
Lachen haben. Sobald er von der Arbeit kommt, fängt er an zu zetern, weil das
Essen nicht fertig ist oder nicht gut genug für den Herrn
Scheißgeneraldirektor. Er bringt mich in Teufels Küche, ich werde ihm die Suppe
etwas versalzen, mit meinen Füllern. Ich will seine Fratze sehen.

8
     
    »Laß dich bloß nicht erwischen!«
    Das ist alles, was er gesagt hat, als
er meine schönen Füllfederhalter gesehen hat, das Kästchen und alle in dem
Geschäft gestohlenen Schreibgarnituren mit den Goldfedern.
    Er hatte sich eben an seinen
Schreibtisch gesetzt, und ich habe ihm das Ganze unter die Nase gehalten.
Zuerst schaute er ein bißchen betreten, dann erstaunt drein, als er all das
sah. Er hat gefragt, wo das herkäme, ich habe ihm ganz offen, ohne irgendwelche
Gewissensbisse, ruhig geantwortet:
    »Ich habe alles gestohlen.«
    Ich hatte eine höllische Angst. Eine
Minute zuvor hatte er noch eine Stinklaune, hatte er noch herumgezetert. Er hat
genau hingeschaut. Und er hat gesagt: »Sieh zu, daß du dich nicht erwischen
läßt.«
    Ich war baff. Dieser angebliche
Moralist scherte sich jetzt um rein gar nichts mehr. Ich konnte stehlen,
vielleicht sogar töten, er würde etwas in der Art sagen wie: »Laß bloß keine
Fingerabdrücke zurück.«
    Er hatte sich, weiß Gott, verändert.
Seine Prinzipien galten nicht mehr. Er scherte sich ganz offensichtlich einen
Teufel darum, und ich war wieder einmal völlig ratlos. Ich suchte Streit, eine
Auseinandersetzung, eine groß angelegte Konfrontation, um da herauszukommen.
Ich wollte mich aus dem Haus werfen lassen. Und er riß nacheinander meine
kleinen Schranken nieder, die ich zwischen ihm und mir zu errichten versuchte.
»Hut ab vor diesem Kerl!« sagte ich mir. Er ist stark, wahnsinnig intelligent:
Ich

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