Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
Vom Netzwerk:
So lange kann es nicht mehr dauern. Der Brechreiz steigt
hoch, immer höher, ich schwitze, ich wechsle die Farbe, ich fühle buchstäblich,
wie ich die Farbe wechsle, weiß, dann grün werde... Die Tabletten kommen wieder
hoch und mein Magen mit ihnen.
    »Halt an, ich muß mich übergeben.«
    »Was ist los mit dir?«
    »Halt den Wagen an, ich kotz’ gleich...«
    Ich falle mit den Knien auf den Kies am
Straßenrand; das höllische Getöse des Speiens, das mich schüttelt, übertönt,
was er sagt. Alles kommt heraus. Der Tod kommt mit diesen verdammten Tabletten
mit heraus. Ich werde nicht sterben.
    Ein ekelhafter Brei liegt auf dem
Grasbüschel vor mir.
    »Hast du irgend etwas gegessen?«
    »Weiß nicht, schon möglich.«
    »Vielleicht drückst du dich ein bißchen
deutlicher aus...«
    »Siehst du nicht, daß mir schlecht ist?
Was soll ich dir sagen. Woher soll ich wissen, ob ich was Verdorbenes gegessen
habe.«
    »Ich mag den Ton nicht, den du derzeit
anschlägst.«
    Scher dich doch zum Teufel. Fahr zu, du
wirst nicht lange große Töne spucken, ich werd’s wieder versuchen. Ich muß die
falschen Tabletten erwischt haben. Es wird schon noch klappen.
    Die Familie. Die Cousine. Ihre
Schwestern, die Lichter. Wenn ich mich hinlegen und schlafen könnte.
    »Guten Abend, Onkel...«
    Diese dumme Pute ist fast eifersüchtig
auf mich. Sie hat ihren Vater nicht gekannt. Ich überlasse ihr gern meinen, mit
allem Drum und Dran. Du hast keinen Vater? Da hast du meinen, es wird dir an
nichts fehlen. Mir ist furchtbar übel.
    »Nathalie hat sich auf der Autobahn ein
bißchen unwohl gefühlt.«
    »Mein Gott, stimmt, du bist ganz blaß.
Willst du eine Coca Cola?«
    Ich will in Ruhe gelassen werden, ich
will mein Bett. Seit drei Jahren schon will ich mein Bett.
    »Na, was ist, antworte deiner Cousine.«
    »Es geht schon, ich trinke ein Glas
Wasser.«
    Mein Magen brennt, und das kalte Wasser
ist wie ein riesiger Eiswürfel in einem kochenden Wasserkessel. Ein paar
Minuten lang bin ich allein in der Küche und starre wie blöd auf den
Wasserhahn, ich warte darauf, daß das Eis schmilzt. Es ist alles andere als
einfach, einen verkorksten Körper mit sich herumzuschleppen. Was habe ich im
Bauch? Ich habe keine Ahnung. Bin ich schwanger oder nicht? Gute Idee, damit
jage ich ihm noch einmal ein bißchen Angst ein.
    »Gehts besser?«
    »Nicht so sehr. Ich habe Brechreiz.«
    Fehlgeschlagen. Er denkt nicht daran.
Ihm ist’s wurscht. Na, mir auch. Zunächst einmal bin ich nicht schwanger. Es
ist unmöglich. Wenn ich es wäre, hätte ich das Ding mit den Tabletten
herausgekotzt. Und dann habe ich Bauchweh. Es wird sicherlich kommen. Ihm ist
es so wurscht, daß er nicht einmal gefragt hat, ob ich einen Typen gefunden
habe, um mit ihm zu schlafen. Vielleicht wartet er darauf, daß ich es ihm
erzähle.
    »Wir fahren heim.«
    Er hat mich an einem Samstagabend bis
hierher geschleppt, um ein Alibi zu haben! Die Sorte Papa, der sein Töchterchen
zur Familie mitnimmt. Und die Cousine, die sich an seinen Hals hängt, um ihn zu
küssen. Auf Wiedersehen, Onkel... Daß ich nicht lache... Du weißt nicht, was
für ein Glück du hast, keinen Vater zu haben, meine Teuerste. Schau mich gut
an: Weil er auf eine ganz bestimmte Art »wir fahren heim« gesagt hat, weiß ich
im voraus, was mich erwartet. Krank oder nicht, er wird verlangen, daß ich in
seinem Büro bleibe. Und dort werde ich mich auch noch gedulden müssen, bevor
ich weiß, ob ich’s über mich ergehen lassen muß oder nicht.
    Und du, du machst Späße und küßt ihn,
du weißt nichts, du kennst nichts. Du bist in meinem Alter, da spricht man über
Rockmusik, Klamotten, Lehrer, die Büffelei am Ende des Trimesters, über Jungen.
Man spricht sogar von Jungen. Du flirtest, ich nicht. Bevor mich ein Kerl
anrührt, muß er mich im Laufen einholen. Ich kann nicht einmal mehr die Idioten
ansehen, die sich in den Fernsehserien oder im Kino umarmen. Ich drehe mich
weg, ich warte, bis etwas anderes kommt. Selbst an Franck denke ich nicht mehr,
er gehört in die ferne Zeit, als ich Kind war.
    »Stimmt es, daß dein Vater dir eine
Schreibmaschine gekauft hat?«
    Ja, es stimmt. Damit ich die Briefe an
seine Kunden und die Rechnungen schreibe. Ich habe eine schöne Schreibmaschine,
in einem schönen Büro mit Teppichboden überall und einem Schloß, das
verschließbar ist. Und nur er hat den Schlüssel dazu. Willst du es wissen? Was
würdest du für ein Gesicht machen, wenn ich dir erzählte, womit er seine

Weitere Kostenlose Bücher