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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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meine Privatangelegenheit. Ein
Junge, ich will nicht darüber sprechen.«
    »Wie Sie wollen... Gehen Sie in Ihr
Klassenzimmer zurück.«
    Zehn Uhr. Jetzt habe ich Flo auf der
Pelle.
    »Na, du warst beim Schulaufseher? Was
hat er gesagt?«
    »Quatsch wie üblich. Warum ich nicht
arbeite, warum ich so dreinschaue. Und meine Eltern und das Ganze...«
    »Was hast du ihm erzählt?«
    »Na, nichts. Auf eine blöde Frage eine
blöde Antwort. Hast du einen Glimmstengel?«
    »Nein und du?«
    »Man hat sie mir am Eingang abgenommen.
Ein richtiges Gefängnis hier!«
    Ich muß nach Hause. Gefängnis und
nochmals Gefängnis. Ich komme da nie heraus.
    »Salut, Flo.«
    »Besuch mich zu Hause.«
    Selbst auf Flo habe ich keine Lust. Ich
bleibe lieber ganz allein. Und dennoch trödele ich, um nicht sofort
heimzukommen. Mama hinter ihrer Kasse. Auch nicht in den Laden jetzt. Doch. In
den Laden. Ich brauche Knete, um Zigaretten zu kaufen und mir ein Bier zu
leisten.
    Ich streune einen Augenblick lang
zwischen den Regalen herum. Trichloräthylen: Ich kenne ein Mädchen, das sich
mit diesem Mittel dopt. Bei ihr zu Hause weiß es niemand. Sie verliert ihre
Haare. Sie kotzt die ganze Zeit. Ihre Alten bemerken das nicht einmal. Niemand
sieht auch nur das Allergeringste. Sie macht sich ihre Gesundheit kaputt, diese
Idiotin! Und obendrein für gar nichts. Ihr Vater kann sie nicht vergewaltigen,
er hat sich aus dem Staube gemacht. Die hat ein Glück.
    »Was suchst du?«
    »Nichts, Mama. Kann ich mir zehn Francs
für ein Heft nehmen?«
    »Schreib’s auf, meine Abrechnung stimmt
nie.«
    Ich nehme fünfzig Francs. Drei
Zehn-Francs-Stücke und einen Zwanzig-Francs-Schein. Drei Bier und ein Päckchen
Glimmstengel. Das Leben ist teuer.
    »Kümmere dich heute nachmittag um
deinen Bruder.«
    »Okay...«
    »Nathalie, nicht dieser Ton, es ist
schließlich ganz normal, daß ich dich darum bitte, du hast heute nachmittag
keine Schule...«
    »Schon gut! Ich hab gesagt okay, reg
dich ab.«
    Sie schaut mich verständnislos an. Sie
kann nichts verstehen. Sie schläft ja nachts. Die ganze Zeit krank, die ganze
Zeit erledigt. Ich weiß, das ist nicht ihre Schuld. Aber mir ist es wurscht.
Mir ist es wurscht. Wenn das so weitergeht, krepiere ich.
    »Hallo, mein Liebling? Hier ist Papa...«
    Diese Manie mit dem Telefon. Sitzt er
drauf oder was? Er telefoniert ohne Unterlaß.
    »Alles in Ordnung zu Hause?«
    »Ja, ja. Alles in Ordnung.«
    »Gut. Heute abend werden wir feiern.
Also bleib da, und warte auf mich.«
    Ich bin eine Null. Ich hätte irgend
etwas erfinden müssen anstatt mit einer normalen Stimme ganz einfach zu
antworten. Feiern... Denkste. In mir sperrt sich alles. Ich werde vor dem
Fernsehen warten müssen, bis dieser Widerling heimkommt, herummeckert, über
Dinge spricht, die mir vollkommen egal sind. Danach, ab, auf den Speicher,
Kleine! Schreib Rechnungen, laß ihn seinen Joint rauchen und danach: feiern. Er
nennt das feiern! Mit seinen völlig glasigen Augen meint er, er habe glänzende
Ideen.
    Mitternacht. Ich bin fertig. Er holt
eine Flasche Champagner. Ich tue so, als ginge ich hinaus, ich nehme einen
abweisenden Gesichtsausdruck an. Ich setze mich wieder hin. Ich habe heute
abend Anrecht auf das ganze Programm. Champagner und Joints. Ich kann nicht
mehr vor Müdigkeit. All das, um mich gefügig zu machen.
    Ich kenne das Programm, die Worte, die
Gebärden auswendig. Er wird einen Ständer kriegen, mich schlagen, mit mir
schlafen. Nicht mit mir, mit einer Hure, die ich nicht bin. Er wird fragen, ob
sie das mag, die Hure. Sie wird mit ja antworten. Danach wird er seinen Samen
abspritzen, und ich kann mich schlafen legen. Verduften, in meinem Zimmer
verschwinden, nachdem ich alles erduldet habe, was dieses große Dreckschwein
will. Sogar ohne den Mut zu finden, ihm ins Gesicht zu schreien, was ich von
ihm denke. Danach werde ich eine Stunde brauchen, um einzuschlafen, mit all
diesen ekelhaften Bildern vor Augen. Es sind so viele. Ich habe ein ganzes Album
im Kopf. Ich drehe durch.
    Auch jetzt, in diesem Augenblick werde
ich wieder wahnsinnig. Jetzt, wo ich all dies niederschreibe, wo ich minuziös
die Chronologie meiner privaten Hölle erstelle, die Nächte, Monate, Jahre
gedauert hat. Diese Woche habe ich keine Zeile schreiben können. Ich habe über
das nachgedacht, was sich abgespielt hat. Offensichtlich gewöhnte ich mich
daran. An den Gürtel und an alles übrige. Auch an die Worte. Wenn ich schreibe
»Mein Vater spritzt seinen Samen ab, und

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