Ich war zwölf...
Prostituierten.
Eines Tages habe ich ihn bei einem
Telefongespräch überrascht. Er sprach von einer nicht eingehaltenen
Verabredung. Dann hörte ich: »Bist du allein heute abend? Gut, einen Schmatz
von mir, wir machen’s so, wie wir gesagt haben, mein Häschen...«
Ich habe gefragt:
»Wer war denn das?«
»Eine Kundin, eine Freundin...«
Einmal habe ich die »Freundin« kommen
sehen. Im Minirock, der knapp ihren Hintern bedeckte, mit hochhackigen Schuhen,
dauergewellten Haaren. Angemalt wie ein Pornostar. Seine Geliebte. Eine von
ihnen, wahrscheinlich. Sie schien ein wenig verstimmt zu sein, mich da
vorzufinden. Er überhaupt nicht. Sie hat sich auf den Schreibtisch gesetzt und
die Beine übereinandergeschlagen. Ich tippte auf meiner Rechenmaschine,
blitzschnell errechnete ich die Mehrwertsteuer, um so rasch wie möglich
verschwinden zu können. Sie hieß Nathalie... die Nutte, war kaum zwanzig... Und
an einem Abend, als ich wieder einmal unters Messer kam, erzählte er mir von
ihr. »Du solltest dir die Haare locken lassen... Du solltest Röcke tragen...
weißt du, meine Freundin Nathalie... ich hätte so gerne, daß sie jetzt hier
wäre...«
Er verglich mich mit ihr. Was wollte er
eigentlich? Daß ich eine Hure werde?
Zuweilen erwähnte er sogar meine
Cousine Sylvie, die Tochter seiner eigenen Schwester, seine Nichte. Er hätte
sie gerne ebenfalls dazugeladen... Mit hinterhältigem Blick sagte er zu mir:
»Und wenn wir Sylvie einladen würden?«
Ekelhaft.
Und währenddessen versank meine Mutter
in einer fürchterlichen Depression. Schlafmittel, Beruhigungsmittel. Mein Vater
sagte, sie sei plemplem, ihre Familie sagte es ebenfalls. Wie konnte man
deprimiert sein, wenn man mit einem so wundervollen Kerl wie ihm zusammenlebte?
Einem unermüdlichen Arbeiter, einem so fürsorglichen Vater?
Ich bin in meinem Zimmer, im Dunkeln
mit meinen Kerzen, deren Lichter wie kleine Gespenster wirken. Ich höre einen
Schritt im Flur. Seinen. Jetzt wird eine Tür geöffnet, die vom Zimmer meiner
Schwester.
Mit angehaltenem Atem lausche ich. Rühr
du bloß meine Schwester an, und ich bring dich um, Dreckschwein! Versuch’s nur...
Die Wand ist dünn, zuerst höre ich nur
ein Murmeln, dann die Stimme meiner Schwester:
»Hör auf, Papa, ich mag das nicht!«
Sie hat losgepoltert, laut. In einem
autoritären Ton. Auf meinem Bett sitzend zögere ich eine Sekunde, bereit
aufzuspringen, aber die Tür schlägt zu, und er geht fort.
Hat eins auf die Schnauze gekriegt, der
Alte. Die wird er nicht bekommen. Sie wird sich das nicht gefallen lassen, sie
ist schon zu groß. Hast du vergessen, daß man sie schon in der Wiege nehmen
muß, du Dreckskerl? Im Puppenalter? Sie ist vierzehn und hat schon kleine
Flirts, zu spät für deine dreckigen Pfoten. Zudem hat sie einen schwierigen
Charakter. Die Nacht verstreicht. Eine schlaflose Nacht. Immer die Angst, daß
er an meine Tür klopft. Ich, Sklavin für alle Zeiten, die ich nicht mehr reden
kann, so schuldig fühle ich mich, so unterjocht. Nebenan ist er rausgeworfen
worden, es könnte gut sein, daß er sich bei mir dafür rächt.
Er hat sich wohl mit ein paar Joints
über sein Pech hinweggetröstet.
Am nächsten Tag habe ich meine
Schwester beobachtet, in der vagen Hoffnung, sie käme zu mir, um mit mir zu
reden. Sie hat nichts gesagt. Er hat es noch ein paar Mal versucht, so als wäre
nichts, vor allen, indem er vorgab, einen Scherz zu machen. Eine Hand, die auf
der Brust herumtatscht... Aber sie ist ihm ganz ruhig ausgewichen. Das mißfiel
ihm, sie verdrückte sich, und er mußte es wohl oder übel hinnehmen. Ich
beneidete sie glühend. Sie, sie hatte die Möglichkeit, ihm zu entgehen. Ich
hatte sie nicht gehabt. Das war ungerecht. Ungerecht. Gemein.
12
März 1987 Es ist Sonntag. Strahlende
Sonne auf der Terrasse. Familientreffen. Wir werden uns ein wenig entspannen
können, ohne daß er uns alle anschreit. Mama sieht fröhlich aus. Meine
Schwester benimmt sich affektiert. Mit dem Heranwachsen ist sie zickig
geworden. Pubertätskrise, nun auch bei ihr. Ich fühle mich alt. Mein kleiner
Bruder spielt wie wild mit einem Minimotorrad.
Wir haben die Schwägerin meines Vaters,
ihren Mann und ihre Kinder eingeladen. Ich höre Geräusche, Lachen auf der
Terrasse, als ich die Tür zum Büro hinter mir schließe. Mir ist die lästige
Arbeit mit den Rechnungen aufgebürdet worden, während er sich in der
Frühlingssonne aalt, vor einem Bier oder einem Kaffee. Nathalie ist
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