Ich war zwölf...
für Hitler keinen Hehl macht, er hat sie oft in
der Öffentlichkeit bekundet. Dieser Mann ist ein sadistischer, gewalttätiger,
schändlicher Vater...
Ich weiß. Ich weiß, ich höre nicht zu,
man hat mir bereits während einer Unterbrechung der Verhandlung gesagt, er
bekäme zehn oder zwölf Jahre.
Während sein Anwalt sein Plädoyer
vorgetragen hat, bin ich draußen geblieben, mit Bruno.
»Ich will mit dir leben.«
Er hat sich durch das Labyrinth
gekämpft. Ich schwöre, daß ich es auf alle Fälle versuchen werde.
Es ist Mitternacht. Das Urteil wird
gefällt. Der Vorhang wird über dieses Justiztheater fallen.
Schuldig mit mildernden Umständen.
Wo haben sie die aufgegabelt? Welche
mildernden Umstände? Er ist nicht verrückt, er hat nichts zugegeben. Was kann
sein Verbrechen mildern? Gibt es bei derartigen Verbrechen Abstufungen?
Man wird mir vielleicht entgegenhalten,
daß damit eine zwanzigjährige Zuchthausstrafe vermieden wurde. Daß die
Geschworenen einen Kompromiß geschlossen haben, um ihm nur zwölf Jahre
aufzubrummen. Milde.
Ich hasse die Milde. Ich habe verloren.
Ich bin der Kompromiß. Nichts von all
dem befriedigt meine Rachegelüste. Jeder weiß, daß er in acht Jahren draußen
sein wird.
Er ist zweiundvierzig, mit fünfzig Jahren
wird er frei sein; mit den Händen in den Taschen wird er, wie man so schön
sagt, seine Schuld an die Gesellschaft bezahlt haben.
Aber nicht an mich. Nie werde ich eine
Gerechtigkeit akzeptieren, für die man bezahlt und die mich nicht rächt.
Rache ist etwas Fürchterliches? Nein.
Sie ist richtig, notwendig.
Ich brauchte sie, immer werde ich sie
brauchen. Nathalie ersehnte sie mehr als alles andere. Sie hat immer noch das
Messer in ihrem Kopf. Das ist unabänderlich.
Die andere, die nicht mehr Nathalie
heißt, versucht ihr Leben mit dem Mann aufzubauen, den sie liebt. In
Liebesdingen muß sie alles neu erlernen. Sie hat Angst, sie flieht immer noch,
sie fährt bei einer Ähnlichkeit, einer Äußerung, dem Geräusch einer sich
schließenden Tür zusammen. Sie schläft immer noch in ihren Kleidern. Sie hat
keine Waschmaschine kaufen können, als sie ihr neues Leben begann. Sie wäscht
ihre schmutzige Wäsche mit der Hand.
Aber immer häufiger läßt die Freiheit
sie vor Glück strahlen. Die Freiheit ist etwas Wunderbares. Sie können das
nicht verstehen, Sie waren schon immer frei. Für mich und für Menschen, die
Ähnliches erlebt haben, ist die Freiheit ein phantastisches Geschenk. Keine
Unterjochung mehr, kein unsichtbarer Stacheldraht, keine Folterkammer mehr. An
manchen sonnigen Tagen am Strand, wo ich nach der siebenten Welle des Glücks
Ausschau halte.
Und an manchen Abenden zünde ich die
Kerzen aus meinen Alpträumen wieder an, finde ich mein Messer wieder.
Ohne zu wissen, wohin ich es stoßen,
wen ich damit töten will.
Freitag, den 29. Dezember 1989. Ich bin
heute neunzehn Jahre alt.
Danke, daß Sie sich meine Schreie
angehört haben.
Nachwort zur deutschen Ausgabe
Kinder brauchen
wissende Zeugen
Trotz der UNO-Kinderrechtskonvention
leben heute unzählige Kinder im Zustand der totalen Wehrlosigkeit, wenn ihre
Eltern nicht bereit und/oder nicht in der Lage sind, ihre Rechte zu schützen.
Wie dieses Buch zeigt, kann ein allgemein geachteter Familienvater am eigenen
Kind seine Perversion abreagieren und es rücksichts- und erbarmungslos für
seine Wünsche benutzen, ohne daß ihm das Geringste dafür droht. Es genügt, daß
er dem Kind sagt, die Mutter würde sterben, wenn sie es erführe, und die volle
Diskretion des Kindes bleibt ihm zugesichert. Er kann die kleine und dann
heranwachsende Tochter entwürdigen, vergewaltigen, erniedrigen, schlagen, sie
zur absoluten Fügsamkeit zwingen, sie fünf Jahre lang unter ständigem Terror
halten und ihr unsägliches Leid zufügen, ohne daß er fürchten muß, verraten zu
werden.
Wie ist das möglich, möchte man fragen,
lebten die beiden denn im Dschungel? Waren ringsherum nur wilde bedrohliche
Tiere, die das Kind so fürchtete, daß es nicht um Hilfe schrie? Nein, ganz und
gar nicht. Oder lebten sie auf einer menschenleeren Insel, so daß die Suche
nach Hilfe völlig aussichtslos war? Nein, auch das nicht. Sie lebten in einer
französischen Stadt, inmitten einer Familie, mit Mutter, Schwester, Bruder,
Tanten, Cousinen, Nachbarn, Lehrern, versehen mit allen Bequemlichkeiten und
Utensilien des modernen Wohlstands. Vermutlich waren unter diesen durchaus
wohlwollenden Menschen auch einige, die
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