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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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Ungeheuer schweigt oder leugnet das
Offenkundige. Das ist seine Stärke.
    Die des Feiglings.
    Endlich bin ich an der Reihe.
    Von Zeit zu Zeit bittet mein Anwalt
mich, hinauszugehen, weil eine Lüge mich aufspringen läßt. Er wiederholt
unablässig, mit seiner matten Stimme: »Sie lügt.« »Alle lügen sie.«
    Manchmal versuche ich, seinen Blick zu
erhaschen, ihn herauszufordern. Wie kann ich ihn zum Geständnis bringen? Ich
möchte, daß er gesteht, er soll diesen Horror erzählen, er, der Erwachsene, der
Verantwortliche, der Schuldige, der Vater. Nicht ich.
    Der Präsident verliert die Geduld
angesichts dieses farblosen Angeklagten, der sich so schlecht verteidigt, so
miserabel lügt, daß das ganze Klima im Saal davon vergiftet ist.
    »Also, Monsieur... wenn Sie unschuldig
sind, gesetzt den Fall, daß Sie es sind... dann sollten Sie ihre Unschuld
lauthals beteuern!«
    Und die leise Stimme murmelt:
    »Aber ich beteuere sie ja...«
    Ich bringe ihn um, ich bringe ihn um.
All das ist zwecklos, sie kennen ihn nicht, ich schon.
    Am Nachmittag sind meine Zeugen dran.
Sie wissen, was sie zu sagen haben, es ist unzweideutig.
    Bruno vor den Schranken. Er kann nur
erzählen, was ich ihm selbst, so spät, erzählt habe.
    Endlich kommt meine Mutter an die
Reihe, dann meine Schwester, dann ich.
    Meine Schwester vor den Schranken des
Gerichts.
    Sie ist wunderbar ruhig. Stark, einen
Augenblick ganz stolz, als sie sagt, daß sie den sogenannten »Zärtlichkeiten«
seitens eines Vaters knapp entronnen ist, der seinen Töchtern riet, nackt zu
schlafen, weil es gesünder sei...
    »Was denken Sie heute über Ihren
Vater?«
    »Ich verachte ihn.«
    Sie hat ihn voll angeschaut, dann setzt
sie sich wieder neben mich und weint heiße Tränen. Ich bewundere sie, sie ist
stärker als ich, zeigt mehr Willen.
    Mama vor Gericht.
    Sie erzählt ihre eigene Geschichte. Ihr
Leben als verheiratete Frau, die Unterdrückung, die sexuellen Zumutungen, denen
sie sich beugen mußte.
    »Er forderte in dieser Beziehung so
viel von mir, daß ich mir keine Sekunde lang vorstellen konnte, daß er
zusätzlich noch meine Tochter mißbrauchte!«
    Und da steht er auf, das Ungeheuer und
sagt mit erhobenem Kopf:
    »Schämst du dich deiner Lügen nicht?«
    »Du solltest dich schämen!«
    Ich kann nicht mehr sitzen bleiben, den
Mund halten. Die Wahrheit kommt nicht an den Tag, er sagt sie nicht, ich
brauche Gewalt, nicht diese wohlgeordnete Diskussion.
    Der Gerichtspräsident ist ein
anständiger Mann, der den sympathischen Tonfall des Landstrichs spricht.
Seinerseits Familienvater, hat er in der Woche unter Ausschluß der
Öffentlichkeit bereits über zwei ähnliche Fälle zu Gericht gesessen. Er hat
Widerwärtigkeiten von der Art gehört wie: »Ich liebe meine Tochter, da ist es
normal, daß ich mit ihr Liebe mache.«
    Er tröstet mich ein wenig durch den
Ekel, den er kaum zu verbergen vermag. Pornographie auf Videokassetten, das muß
er wohl zugeben, steht jeden Tag in den Fernsehprogrammen... Aber was man bei
dem Angeklagten gefunden hat, sprengt den Rahmen.
    »Finden Sie das normal, einen Film, der
eine Dame beim Liebesspiel mit einem Pferd zeigt?«
    Keine Antwort.
    Ich bin dran. Ich gehe ein paar
Schritte vor, ich halte mich an der Schranke fest.
    Ich habe gesprochen. Alles gesagt. Aber
wie, weiß ich nicht. Keine Erinnerung daran. Nur ein paar momentane Eindrücke.
Bei einer Einzelheit hat »er« etwas dazu sagen und mir das Wort abschneiden
wollen, wurde aber vom Präsidenten zurechtgewiesen.
    »Ich fordere Sie ausdrücklich auf, den
Mund zu halten und Ihre Tochter ausreden zu lassen.«
    Ich spreche, das Messer im Kopf. Es ist
da, glänzend, mit langer spitzer Klinge, faszinierend, grell. Dieses Messer,
das bin ich. Ich.
    »Was denken Sie heute über Ihren
Vater?«
    »Ich will, daß er krepiert.«
    Ich schaue ihn direkt an. Ich halte
seinen Blick aus, das ist die einzige Antwort, die mir wesentlich erscheint.
Ich muß es ihm sagen, vor allen anderen, vor aller Öffentlichkeit, während ein
Journalist seinen gemeinen Kopf zeichnet, den die Geschworenen mit düsteren
Mienen betrachten, überfordert von der Erscheinung dieses ganz gewöhnlichen
Ungeheuers. Man schickt mich an meinen Platz zurück, und ich breche in Tränen
aus.
    Tränen, ich habe so viele vergossen,
daß ich zu einer Tränenmaschine geworden bin.
    Mein Rechtsanwalt hat sich ins Zeug
gelegt. Beweise, Argumente, eine klare, unerbittliche Rede. Dieser Mann ist ein
Nazi, der aus seiner Sympathie

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