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Ich weiss, dass du luegst

Ich weiss, dass du luegst

Titel: Ich weiss, dass du luegst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Ekman
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Möglicherweise hätten sie zu wenig Angst gehabt, als dass eine Veränderung der Stimmlage eingetreten wäre. Oder hätten wir den Krankenpflegeschülerinnen einen Film gezeigt, wie ein Kind stirbt, so hätte das wahrscheinlich eher Trauer statt Angst ausgelöst. Während die Angst, ertappt zu werden, ihre Stimmlage vermutlich erhöht hätte, wäre diese Reaktion durch traurige Gefühle, die die Stimme senken, wieder neutralisiert worden.
    Eine erhöhte Stimmlage ist kein Anzeichen für eine Täuschung, sondern ein Hinweis auf Angst und Ärger, vielleicht auch auf Erregung. In unserem Experiment widersprach ein Anzeichen solcher Emotionen der Behauptung der Schülerin, sie sei glücklich und zufrieden, einen Film über Blumen zu betrachten. Allerdings ist es gefährlich, jedes Anzeichen für Emotionen aufgrund der Stimme als Hinweis auf eine Täuschung deuten zu wollen. Eine ehrliche Person, die befürchtet, dass man ihr nicht glaubt, könnte aus dieser Angst heraus dieselbe hohe Stimmlage bekommen wie ein Lügner, der Angst hat, erwischt zu werden. Für den Lügenermittler besteht das Problem darin, dass nicht nur Lügner, sondern auch Unschuldige manchmal emotional erregt sind. Schließt der Lügenermittler daraus auf eine Täuschung oder bringt er Hinweise auf Täuschungen durcheinander, spreche ich vom Othello-Fehler. In Kapitel 6 werde ich diesen Irrtum detailliert erläutern und erklären, wie der Lügenermittler sich dagegen schützen kann, auch wenn er leider schwer zu vermeiden ist. Die stimmlichen Veränderungen, die den Betrug verraten könnten, sind auch geeignet, den Brokaw-Fehler (individuelle Unterschiede im emotionalen Verhalten) ins Spiel zu bringen, den ich bereits bei der Betrachtung von Pausen und Fehlern beim Sprechen vorgestellt habe.
    Genauso wie ein stimmliches Anzeichen für eine Emotion wie die Stimmlage nicht immer eine Lüge kennzeichnen muss, ist das Fehlen jeglicher Emotion in der Stimme nicht unbedingt ein Zeichen für die Ehrlichkeit einer Person. Bei der landesweiten Fernsehübertragung der Anhörungen des Watergate-Ausschusses des US-Senats hing die Glaubwürdigkeit von John Deans Aussagen zum Teil davon ab, wie man die Emotionslosigkeit seiner Stimme - diese bemerkenswerte Eintönigkeit - deutete. Zwölf Monate nach dem Einbruch ins Hauptquartier der Demokratischen Partei im Watergate-Gebäude sagte Dean als Berater von Präsident Nixon aus. Einen Monat zuvor hatte Nixon zugegeben, dass seine Mitarbeiter versucht hatten, den Einbruch zu vertuschen. Seine Mitwisserschaft hatte er allerdings geleugnet.
    Bundesrichter John Sirica drückte es folgendermaßen aus: «Die kleinen Fische, die bei der Vertuschung mitgewirkt haben, sind alle erwischt worden, meistens durch belastende Zeugenaussagen untereinander. Nun galt es, die wirkliche Schuld oder Unschuld der Männer an der Spitze herauszufinden. Und es war Deans Aussage, die bei dieser Frage die wichtigste Rolle spielen sollte. Dean behauptete [in seiner Aussage vor dem Senat], er habe Nixon wiederholt gesagt, es koste eine Million Dollar, die [des Watergate-Einbruchs] Angeklagten zum Schweigen zu bringen, worauf Nixon geantwortet habe, er könne das Geld auftreiben. Kein Schock, keine Empörung, keine Ablehnung. Das war Deans sensationellste Anschuldigung. Er sagte, Nixon selbst habe die Zahlungen an die Angeklagkte genehmigt.»| 11
    Am nächsten Tag bestritt das Weiße Haus Deans Behauptungen. In seinen fünf Jahre später veröffentlichten Memoiren sagte Nixon: «Ich betrachtete John Deans Zeugenaussage über Watergate als eine listige Mischung von Wahrheit und Unwahrheit, von möglicherweise echten Missverständnissen und offensichtlich bewussten Verdrehungen. Um seine Rolle zu [verharmlosen], gab er anderen die Schuld seines eigenen Wissens über die Verschleierung, und nur um die Rolle eines zweitrangigen Akteurs spielen zu können, verteilte er seine Kenntnisse auf  andere und verdrehte alles.| 12 Zum Zeitpunkt der Senatsanhörungen fiel der Angriff auf Dean jedoch wesentlich rauer aus. Geschichten, die angeblich aus dem Weißen Haus stammten, gelangten in die Presse. Darin wurde Dean als Lügner bezeichnet, der den Präsidenten angreife, weil er sich, falls er ins Gefängnis gehen müsste, vor homosexuellen Übergriffen fürchtete.
    Deans Wort stand gegen Nixons Wort, und nur wenige waren sich sicher, wer von beiden die Wahrheit sagte. Richter Sirica beschrieb seine Zweifel: «Ich muss sagen, dass ich skeptisch gegenüber

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