Ich weiss, dass du luegst
verschärfen, hatte ich den Professor angewiesen, die Studenten nie ausreden zu lassen, wenn sie auf seine Attacken reagierten.
Die Studenten hatten sich für dieses schlimme Experiment freiwillig gemeldet, um mir, ihrem Kommilitonen, zu helfen. Sie wussten, dass es ein Forschungsinterview und mit Stress verbunden sein würde. Aber das machte es für sie keineswegs leichter, als es losging. Außerhalb des Settings hatte dieser Professor, der jetzt so übertrieben reagierte, enorme Macht über sie. Seine Beurteilung war für ihr Examen entscheidend, und der Grad der Begeisterung in seinen Empfehlungsschreiben spielte eine Rolle, welchen Job sie vielleicht bekämen. Innerhalb weniger Minuten machten die Studenten einen gequälten Eindruck. Da sie weder weggehen noch sich verteidigen konnten, waren sie, innerlich schäumend vor Wut und Frustration, dazu gezwungen, zu schweigen oder unartikulierte Laute auszustoßen. Vor Ablauf von fünf Minuten, so hatte ich den Professor instruiert, sollte er ihr Leiden beenden und ihnen erklären, was er getan hatte und worauf es hinauslief. Anschließend sollte er die Studenten dafür loben, dass sie den Stress so gut bewältigt hätten.
Durch einen Einwegspiegel sah ich dabei zu und bediente die Kamera, die die Körperbewegungen pausenlos aufzeichnete. Ich konnte nicht glauben, was ich im ersten Interview sah. Nach der dritten Attacke zeigte die Studentin dem Professor den Finger! Sie hielt die Hand ungefähr eine Minute lang in dieser Position. Und trotzdem wirkte sie nicht böse, und der Professor schien es nicht zu sehen. Nach diesem Interview stürzte ich in den Raum. Beide behaupteten, ich hätte mir das nur eingebildet. Die Studentin gab zu, sie sei verärgert gewesen, bestritt aber, es zum Ausdruck gebracht zu haben. Der Professor stimmte ihr zu, ich müsse es mir eingebildet haben, weil er eine obszöne Geste bestimmt nicht übersehen hätte. Nachdem der Film entwickelt worden war, hatte ich den Beweis: Dieser gestische Ausrutscher, der Stinkefinger, war kein Ausdruck eines unbewussten Gefühls. Sie wusste ja, dass sie wütend war, aber der Ausdruck dieser Gefühle war ihr nicht bewusst. Sie wusste nicht, dass sie ihm den Finger gezeigt hatte. Die Gefühle, die sie absichtlich zu verbergen suchte, waren hervorgetreten.
Fünfzehn Jahre später sah ich denselben Typ eines nonverbalen Lecks, einen weiteren gestischen Ausrutscher. Es handelte sich um das Experiment, in dem Krankenpflegeschülerinnen sich bemühten, ihre Reaktionen auf blutige Krankenhausszenen zu verbergen. Dieses Mal war es nicht der Stinkefinger, sondern ein Achselzucken. Eine Pflegeschülerin nach der anderen gab ihre Lüge mit einem leichten Achselzucken preis, als der Interviewer fragte: «Wollen Sie noch mehr davon sehen?», oder: «Würden Sie den Film einem kleinen Kind zeigen?» Das Achselzucken und der Finger sind zwei Beispiele für Handlungen, die Embleme genannt werden. Sie sind anders als die anderen Gesten, die Menschen zeigen. Embleme haben eine ganz präzise Bedeutung, die jedem Mitglied einer kulturellen Gruppe bekannt ist. Jeder weiß, dass der Finger «Fick dich» oder «Schieb ihn dir.» meint, während das Achselzucken «Ich weiß nicht», «Ich bin hilflos» oder «Was soll's?» bedeutet. Die meisten anderen Gesten haben keine so genaue Definition, und ihre Bedeutung ist vage. Ohne das gesprochene Wort haben Gesten wenig Bedeutung. Das gilt nicht für Embleme - sie kann man anstelle von Worten verwenden. In den Vereinigten Staaten gibt es rund sechzig Embleme im alltäglichen Gebrauch. (Jedes Land hat sein eigenes Repertoire - häufig verfügen sogar regionale Gruppen in einem Land über eigene Embleme.) Beispiele für andere bekannte Embleme sind das Kopfnicken für Ja, das Kopfschütteln für Nein, das Komm-her-Winken, das Hallo-/Auf-Wiedersehen-Winken, Wedeln mit dem Zeigefinger für «Schäm dich!», die Hand am Ohr für «lauter bitte», der erhobene Daumen des Anhalters und so weiter.| 18
Abb. 1
Embleme werden fast immer vorsätzlich ausgeführt. Die Person, die ein Emblem zeigt, weiß, was sie tut. Sie hat die Entscheidung getroffen, eine Botschaft zu übermitteln. Doch davon gibt es auch Ausnahmen; ähnlich dem Versprecher gibt es auch Ausrutscher bei Körperbewegungen - Embleme, die Informationen sichtbar werden lassen, die die Person zu verbergen bemüht ist. Es gibt zwei Möglichkeiten festzustellen, ob ein Emblem ein Ausrutscher ist, der verheimlichte Informationen
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