Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
Beispiel: Man könnte vom ständigen Multitasking zu einem bewussten Singletasking übergehen – vielleicht indem man es wagt, im Gespräch mit einem guten Freund oder an einem romantischen Wochenende das Handy auszuschalten (oder zu »vergessen«).
Alle diese Beispiele, die freilich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, mögen im ersten Moment ein klein wenig nach calvinistischer Selbstquälerei schmecken, so aber sind sie nicht gemeint. Es ist nur so: In einer Welt chronischer Knappheit hängt unser Leben davon ab, dass wir jederzeit die größtmögliche Gier an den Tag legen. Wird uns etwas angeboten, sollten wir im Zweifelsfall zuschlagen, ja sagen, hingucken, teilnehmen, mitmachen – man kann schließlich nie wissen, was es morgen gibt! In einer Überflussgesellschaft hängen, umgekehrt, unser leibliches und seelisches Wohl unter anderem davon ab, wie gut es uns gelingt, auf so manch überflüssige Sache zu verzichten . Wir müssen lernen zu ignorieren, wegzulassen. Wir müssen uns trauen, nein zu sagen, wenn wir nicht das verpassen wollen, was uns wirklich am Herzen liegt.
Nur, was genau ist überflüssig und was nicht? Wo verläuft die Grenze zwischen Zuwenig und Zuviel? Ab wann stellt ein Verzicht einen Gewinn für uns dar, und wann ist es einfach nur ein Verlust? Ich glaube nicht, dass es auf diese Fragen allgemeingültige Antworten gibt. Gerade darin besteht ja eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit: dass jeder die Frage nach der richtigen Balance für sich entdecken und bestimmen muss.
Unsere Gesellschaft erweckt den Eindruck, dass in ihr das Glück gewissermaßen auf der Straße liegt. Wir müssen nur zugreifen! Wer es nicht tut, wer so undankbar ist und es wagt, in einer dermaßen privilegierten Lage wie der unsrigen noch unzufrieden zu sein, dem ist eigentlich auch nicht mehr zu helfen. Der ist einfach ein bemitleidenswerter Fall, bestenfalls stellt er sich an, schlimmstenfalls hat er eine Schraube locker.
Ich hoffe, dieses Buch konnte zeigen, dass es sich so eindimensional nicht verhält. Selbst eine freie Wohlstandsgesellschaft bietet keine Garantie aufs Glück. Stattdessen konfrontiert sie uns mit ihren ganz eigenen Klippen und Fallstricken.
Und doch, das Beleuchten der Abgründe, die sich in unserer Gesellschaft auch verstecken, ändert nichts an der grundsätzlichen Tatsache, dass wir in privilegierten Zeiten leben. Es war bekanntermaßen nicht immer so. Wer weiß, wie lange es so bleiben wird. Die Privilegien, die wir genießen (eingeschlossen das Privileg, sich den einen oder anderen selbstgewählten Verzicht überhaupt leisten zu können), stellen auch insofern etwas äußerst Knappes dar – was uns ihre Kostbarkeit einmal mehr ins Bewusstsein rücken sollte.
Anmerkungen
Literatur
Alesina, A., & Giuliano, P. (2010). The power of the family. Journal of Economic Growth, 15, 93–125 (siehe auch das Discussion Paper No. 2750 des IZA vom April 2007)
Baron-Cohen, S. (2004). Vom ersten Tag an anders. Walter, Düsseldorf
Bartolini, S., & Bilancini, E. (2010). If not only GDP, what else? Using relational goods to predict the trends of subjective well-being. International Review of Economics, 57, 199–213
Bettencourt, L., et al. (2007). Growth, innovation, scaling, and the pace of life in cities. PNAS, 104, 7301–7306
Bettencourt, L., et al. (2008). Why are large cities faster? Universal scaling and self-similarity in urban organization and dynamics. The European Physical Journal B, 63, 285–293
Binswanger, M. (2006). Die Tretmühlen des Glücks. Herder, Freiburg
Biswas-Diener, R. (2008). Material wealth and subjective well-being. In: Eid, M., & Larsen, R. (Hrsg.). The science of subjective well-being. Guilford, New York
Bornstein, M., & Bornstein, H. (1976). The pace of life. Nature, 259, 557–559
Bornstein, M. (1979). The pace of life: Revisited. International Journal of Psychology, 14, 83–90
Botti, S., et al. (2009). Tragic choices: Autonomy and emotional responses to medical decisions. Journal of Consumer Research, 36, 337–352
Botton, A. de (2004). Statusangst. S. Fischer, Frankfurt
Brockmann, H., et al. (2009). The China puzzle: Falling happiness in a rising economy. Journal of Happiness Studies, 10, 387–405
Brown, M., et al. (2007). Metabolic rate does not scale with body mass in cultured mammalian cells. American Journal of Physiology, 292, R2115-R2121
Bruhn, J., & Wolf, S. (1979). The Roseto story. University of Oklahoma Press,
Weitere Kostenlose Bücher