Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
ist, das so manches Buch erst uninteressant erscheinen lässt. Wie auch Woody Allen erfuhr, nachdem er einen Speadreading-Kurs absolviert und es infolgedessen geschafft hatte, Krieg und Frieden in zwanzig Minuten durchzulesen. Sein Fazit über das Werk: »Es hat mit Russland zu tun.«)
Weniger ist manchmal mehr. Wahrer Genuss entsteht – wird jedenfalls stark gefördert – durch Knappheit. Gold ist nicht nur wertvoll, weil es glänzt, sondern weil es selten ist. Im Umkehrschluss heißt das: Unsere Wohlstandsgesellschaft untergräbt die Wertschätzung einfacher Dinge schon allein dadurch, dass in ihr vieles extrem leicht und billig zu haben ist.
In einer Studie zu diesem Entwertungseffekt durch Wohlstand zeigte man Testpersonen unter einem Vorwand entweder ein neutrales Foto oder ein Foto von Geldscheinen. Anschließend sollten die Leute ein Stück Schokolade essen. Zwei Beobachter, die nichts über Sinn und Zweck des Versuchs wussten, stoppten die Zeit, die sich die Testpersonen für die Schokolade nahmen. Darüber hinaus versuchten sie einzuschätzen, wie viel Freude die Schokolade ihnen bereitete.
Es zeigte sich: Personen, die man zuvor an Geld erinnert hatte, verschlangen die Schokolade in durchschnittlich 32 Sekunden. Die andern ließen sich dafür nicht nur mehr Zeit (im Schnitt gut 45 Sekunden), sondern schienen die Schokolade nach dem übereinstimmenden Urteil der unabhängigen Beobachter auch erheblich mehr zu genießen!
Wie die Forscher des Versuchs vermuten, bringt bereits die bloße Erinnerung an Geld unsere Phantasie auf Touren. Der Möglichkeitsraum in unserem Kopf erweitert sich schlagartig. Unsere Gedanken bekommen Flügel und entführen uns virtuell in das mit drei Michelin-Sternen gekrönte Restaurant an der Côte d’Azur oder auf eine weiße 20-Meter-Yacht in der Karibik, wo uns James, unser persönlicher Butler, soeben kühlen Jahrgangschampagner mit feinnussigem Bouquet eingeschenkt hat. Simple Sachen des Alltags (kühles Bier nach getaner Arbeit, Sonnenstrahlen, etwas so Profanes wie ein Stück Schokolade) verblassen angesichts dieser sprudelnden Phantasien prompt zu ungenießbaren Zumutungen. [161]
In unserer Gesellschaft geht es uns, wie mir scheint, häufig wie den Testpersonen der Geld-Gruppe: Der Überfluss untergräbt unsere Wertschätzung für die scheinbar einfachen Dinge des Lebens. Also streben wir nach immer glänzenderen Dingen, was alles andere nur noch mehr verblassen lässt. Was könnte man gegen diesen Teufelskreis unternehmen?
Eine Möglichkeit wäre, bewusst gewisse Knappheiten in seinen Alltag einzuführen (so wie es die Industrie mit »limited editions« tut). Beispielsweise können selbstgewählte Beschränkungen beim Essen den Genuss und die Wertschätzung dessen, was wir essen, ziemlich wirkungsvoll steigern.
Absolute Fastenzeiten sind da das Extrem, aber es gibt ja auch sanftere oder selektivere Vorgehensweisen. Statt etwa das eine Spare-Rippchen nach dem anderen hinunterzuschlingen, fragen sich in letzter Zeit mehr und mehr Menschen, woher das Fleisch, das sie essen, kommt, unter welchen Bedingungen das Tier gelebt und wie sehr es gelitten hat. Sie lassen sich nicht mehr alles auftischen und genießen stattdessen das, was sie sich mit einiger Sorgfalt ausgewählt haben, umso mehr.
Andere entdecken die Langsamkeit für sich und setzen, statt auf Fast Food, auf Slow Food.
Manche fasten, was ihren TV-Konsum betrifft, und wissen dafür die wenigen, ausgewählten Filme oder Sendungen mehr denn je zu schätzen (nebenbei gewinnen sie Zeit für Aktivitäten, die ihnen ebenfalls wichtig sind).
Andere fasten im Online-Bereich. Sie checken ihre Mails nur noch zweimal am Tag und merken, dass sie dadurch erstaunlich wenig verlieren, dafür eine ganze Welt gewinnen: die Offline-Welt (Sie erinnern sich düster? Einst die einzige Welt, die es gab).
Auch ausufernde soziale Verpflichtungen, sofern sie einen nerven und von Wichtigerem im Leben abhalten, lassen sich mehr oder weniger strengen Fastenkuren unterziehen. »Wollen wir unseren Terminkalender abspecken«, schlägt etwa Alain de Botton vor, »brauchen wir uns nur die Frage zu stellen, wer von [unseren] vielen Bekannten bereit wäre, uns am Krankenbett zu besuchen.« [162] Ein recht strenges Abspeckkriterium, das sich jedoch, je nach persönlichen Bedürfnissen und Vorlieben, problemlos modifizieren lässt (… wer von unseren Bekannten uns anrufen, unsere Abwesenheit bemerken würde etc.).
Weiteres
Weitere Kostenlose Bücher