Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
einem Realitätstest zu unterziehen. Eine ökonomische Möglichkeit wäre in diesem Fall ein vorübergehender Haustausch.
Warum all diese lästigen Praxistests so wichtig sind? Erstens ist unsere Vorstellungskraft begrenzt. Was aber noch entscheidender ist: Unsere Phantasie hat, wie wir alle wissen, die Angewohnheit, sich die Dinge schönzufärben. Einzig und allein der mutige Praxistest gibt uns ehrlichen Aufschluss darüber, ob uns etwas wirklich Freude bereitet, ob etwas zu uns passt oder auch: ob wir etwas können.
Heikles Feld, das mit dem Können. Wie im vorigen Teil des Buchs erläutert, sind mit der Freiheit und dem Wohlstand unsere Träume zunehmend zu amerikanischen Träumen geworden. Alles ist möglich! Jeder kann jederzeit alles werden! Verwirkliche dich selbst! Hol alles aus dir raus, was sich rausholen lässt! (Ja, auch du kannst Gouverneur von Kalifornien werden.) So lauten einige der frohen Botschaften, die man uns zuruft.
Das Vertrackte an diesen Botschaften ist, dass sie eben nicht auf Fiktionen beruhen. Arnold Schwarzenegger, Joanne K. Rowling, Bill Gates & Co. sind schließlich keine Phantasiegestalten wie Lord Voldemort. Außerdem sind es anregende, ermutigende Botschaften.
Zugleich sind die Versprechen der freien Gesellschaft Ideale, die sich leider nur in Einzelfällen – und mit verdammt viel Glück – völlig erfüllen lassen. Umso wichtiger, sich im Praxistest nicht nur über die eigenen Vorlieben, sondern auch über die eigenen Grenzen klarzuwerden: Wo liegen meine Stärken, wo meine Schwächen? Gerade in einer Zeit zahlreicher Lebensoptionen ist eine Antwort auf diese Frage besonders hilfreich, da auch die eigenen Fähigkeiten sowie die Einsicht in ihre Grenzen dem Leben eine Richtung geben können: Sie kreisen das, was man vernünftigerweise wollen soll, auf ein angemessenes Maß ein.
Sich über die eigenen Schwächen und Grenzen klarzuwerden ist bekanntlich nicht immer angenehm. Danach aber hat man es angesichts ausufernder Lebensoptionen ein ganzes Stück leichter. Das Bewusstsein der eigenen Grenzen stimmt gelassener. Wir wissen jetzt, dass es zwar grundsätzlich viele Optionen gibt, für uns aber eben nur eine gewisse Auswahl in Frage kommt, aus dem einfachen Grund, dass wir nun mal nicht alles können. Der Lärm und das Rauschen der Welt werden abermals leiser …
Übrigens: Auf der Suche nach unseren Vorlieben, Stärken und Schwächen können nicht zuletzt unsere Freunde, Bekannten und Kollegen eine Hilfe sein. Als beteiligte Außenstehende haben sie den Vorteil, nur unser Verhalten zu sehen und nicht die diversen Ideale, die uns im Kopf herumspuken und die wir meinen erfüllen zu müssen (etwa weil wir meinen, mit einem bestimmten Beruf, der uns gar nicht liegt, unsere Eltern glücklich zu machen). Unsere Freunde sehen manchmal klarer, was wir richtig gut können, was uns Spaß macht, wer wir sind. Also legen Sie das Buch weg und fragen Sie!
Vom Immer-Schneller und Immer-Mehr
zum klugen Verzicht
Ich bin kein großer Fan unnachgiebiger Selbstdisziplin. Es erscheint mir einfach nicht erstrebenswert, sich selbst vor lauter Disziplin die Freude am Leben zu verderben. Würden wir in einer anderen Zeit und eines anderen Welt leben, ich würde an dieser Stelle wohl kein Loblied auf die Selbstdisziplin und Selbstbeschränkung anstimmen. Aber da wir in einer Überflussgesellschaft leben, in der uns kaum Beschränkungen von außen oder oben auferlegt werden, kann es sich für uns auszahlen, wenn wir die eine oder andere Beschränkung selber auf uns nehmen. Nicht um der Askese, sondern um des Glücks willen.
Dazu ein Beispiel aus meinem Alltag: Zum Berufslaster eines jeden Autors gehört, dass er einigermaßen viel lesen muss, und oft ertappe ich mich beim Artikel- oder Bücherlesen dabei, dass ich die Seiten in einem Irrsinnstempo überfliege. Ich halte inne, merke, wie unbefriedigend das, was ich gerade tue, ist, und frage mich, wieso ich so vorgehe.
Antwort: um auf diese Weise möglichst schnell zum nächsten Buch zu gelangen, das ich dann mit einer ähnlichen Eile durchscanne. Ich lege eine deprimierende Hast an den Tag, um mir schleunigst das folgende Frusterlebnis abzuholen, das sich aus ebendieser Hast ergibt. (Wenn ein Buch schlecht ist, ist es ja sinnvoll, keine Zeit damit zu verschwenden und es, wenn überhaupt, rasch zu lesen – ich bin mir aber nicht sicher, ob die Kausalität nicht gelegentlich auch in die umgekehrte Richtung verläuft und es das Scannen selbst
Weitere Kostenlose Bücher