Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast
einziges gemeinsames Kind. Sie hat mir erzählt, dass ihre Mutter sich die Schuld an dem Unfall gibt, weil die beiden vorher einen Streit hatten und sie ihn nicht bei seinem Freund abgeholt hat. Sie hatte einen Zusammenbruch und wird gerade in einer Klinik im Süden stationär behandelt.«
»Oh Gott.« Ray zog gequält die Luft ein. »Es wird nie aufhören, oder?«
»Mr Gregg ist bei ihr«, fuhr Julie fort. »Deswegen wohnt Megan im Moment allein im Haus. Ray …?« Sie kämpfte mit den Tränen. »Wir haben nicht nur einen kleinen Jungen getötet. Wir haben eine ganze Familie zerstört.«
»Was im Leben eines Menschen passiert, hat auch immer einen Einfluss auf das Leben anderer«, murmelte Ray. »So wie das, was Barry passiert ist, das Leben seiner Eltern beeinflusst und das von Helen, und sogar unseres. Bereust du es, dass wir hierhergekommen sind?«
»Ja. Ich wünschte, ich hätte das alles nie erfahren. Davor waren diese Menschen bloß Namen in einem Zeitungsartikel, jetzt sind sie plötzlich real. Ich werde das Bild, wie Megan im Garten stand, die Wäsche abhängte und über ihren kleinen Bruder sprach, nie vergessen. Sie hat erzählt, dass er sie immer ›Westi‹ genannt hat.« Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und holte tief Luft. »Aber wenigstens wissen wir jetzt, dass die Greggs definitiv nichts mit dem Anschlag auf Barry zu tun haben.«
»Wieso bist du dir da so sicher?«, fragte Ray.
»Megan kann es nicht gewesen sein, sonst wäre sie uns gegenüber niemals so hilfsbereit und freundlich gewesen. Und ihre Eltern sind schon seit zwei Monaten in Las Lunas.«
»Hat sie dir das erzählt?«
»Ja. Deswegen machte sie auch diesen etwas verlassenen Eindruck. Sie wohnt im Moment ganz allein hier.«
»Komisch«, meinte Ray. »Die Dachleiste wurde bis ganz nach oben gestrichen, und Megan ist nicht besonders groß, ich frage mich, wie sie das ganz allein geschafft haben soll.«
»Vielleicht hat ihr ein Nachbar dabei geholfen«, mutmaßte Julie, verstand aber nicht wirklich, worauf er hinauswollte. »Was tut das zur Sache?«
»Wahrscheinlich gar nichts.« Ray zuckte mit den Achseln. »Aber da gibt es noch etwas, was mir Kopfzerbrechen macht. Wenn sie allein dort wohnt, warum hingen auf der Wäscheleine dann Männerhemden?«
»Vielleicht zieht sie die selbst an? Ein paar von meinen Freundinnen tragen öfter die Hemden ihrer Väter zum Schlafen oder bei Aufräumaktionen oder …«
»Schon gut«, unterbrach Ray sie. »Ich hab’s verstanden.« Julie konnte sehen, dass ihr nervöses Geplapper anfing, ihm auf die Nerven zu gehen.
»Ich fand Megan total nett«, sagte sie leise. »Und ich hatte das Gefühl, dass sie mich auch mochte, Ray.«
»Aber das bedeutet nicht, dass ihr Vater nicht in der Lage wäre, sich eine Waffe zu schnappen und auf jemanden zu schießen. Du hast gesagt, dass Daniel Mr Greggs einziger leiblicher Sohn war. Also stammen Megan und eventuelle andere Kinder der Familie aus der ersten Ehe von Mrs Gregg. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Mann in so einer Situation durchdreht.«
»Aber ihr Vater ist nicht hier! Schon seit zwei Monaten nicht mehr! Oder glaubst du etwa, Megan hat gelogen?«
»Ich weiß nicht«, meinte Ray erschöpft. »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich noch glauben soll.«
ELF
Ray fuhr die North Madison Avenue entlang und bog dann auf den Parkplatz der Apartmentanlage Four Seasons. Es war das erste Mal, dass er jemanden hier besuchte, und er musste zugeben, dass er ziemlich beeindruckt war, als er Julie kurz darauf am Pool vorbei folgte und hinter ihr die Stufen zur zweiten Etage hochstieg.
»Helen scheint wirklich das große Los gezogen zu haben«, murmelte er, als Julie auf den Klingelknopf neben der Tür mit der Nummer 215 drückte.
Sie nickte. »Warte, bis du die Wohnung von innen gesehen hast!«
Das Apartment war komplett in verschiedenen Blau-, Grün- und Lavendeltönen gehalten. Die kühlen Farben bildeten die perfekte Kulisse für Helen, die sich im Gegensatz zu Julie während des vergangenen Jahres kaum verändert zu haben schien, außer dass sie vielleicht noch hübscher geworden war.
Sie wirkte erleichtert, ihre alten Freunde zu sehen, griff zur Begrüßung nach ihren Händen und küsste Ray auf die Wange.
»Es ist toll, dich zu sehen! Du siehst fantastisch aus, Ray. So braun gebrannt und zerzaust. Ich mag Männer mit Bart.«
Vom großzügigen Eingangsbereich führte sie die beiden in ein noch großzügigeres Wohnzimmer, in dem
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