Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast
sich Ray verlegen.
»Schon okay. Ich rede nur einfach nicht gern darüber. Der Krieg ist die Hölle, lass dir das gesagt sein, Bronson.« Mittlerweile waren sie an ihren Tisch zurückgekehrt und Bud biss von seinem Croissant ab. »Keine Ahnung mehr, wer das gesagt hat. Irgendjemand Berühmtes, der den ganzen Scheiß selbst miterlebt hat. Jedenfalls hat er es damit genau auf den Punkt gebracht. Es ist schlimm genug, auf Leute zu schießen und selbst beschossen zu werden, aber so läuft das nun mal, wenn man Soldat ist – du tust, was die Army und dein Land von dir erwarten, hast also quasi die staatliche Lizenz zum Töten …
Aber was einen echt fertigmacht, sind die Kinder. Die wissen noch nicht einmal, worum es in dem Krieg überhaupt geht, sie sind bloß darin verwickelt, weil er zufälligerweise genau da stattfindet, wo sie zu Hause sind.«
»Ganz schön hart«, murmelte Ray und schämte sich sofort, weil ihm bewusst wurde, wie hohl und abgedroschen die Worte klangen. Die beiden schwiegen einen Moment lang. Ray trank einen Schluck von seinem Kaffee und fragte sich, warum er ihn überhaupt bestellt hatte. Die Vorstellung, einen ganzen Becher von dem heißen Getränk zu leeren, erschien ihm plötzlich unerträglich.
»Tja, ich muss dann langsam mal wieder los«, sagte er unvermittelt.
Bud wirkte überrascht. »Wir haben uns doch gerade erst hingesetzt.«
»Ich weiß, aber ich hab völlig vergessen, dass ich noch jemanden anrufen muss.«
»Falls du Julie anrufen willst, spar dir die Mühe. Ich bin für heute Abend mit ihr verabredet«, entgegnete Bud und lächelte zum ersten Mal, seit sie sich vorhin zufällig getroffen hatten. »Ich schließe eine Wette mit dir ab, Bronson.«
»Was für eine Wette?«
»Ich wette, dass Julie im September nicht aufs Smith College gehen wird.«
»Die Wette hast du jetzt schon verloren.« Ray winkte ab. »Klar wird sie aufs Smith gehen. Sie freut sich total darauf. Es gibt nichts, was sie davon abhalten könnte.«
»Doch, ich«, erklärte Bud völlig überzeugt. »Noch weiß sie es nicht, aber bis September sind es noch drei lange Monate.«
»Du spinnst.« Ray schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Julie ist nicht der Typ Mädchen, der für eine Beziehung ihr Studium sausen lassen würde. Weder für dich noch für mich oder für irgendjemanden sonst.«
»Wir werden ja sehen.« Bud hob die Hand zum Abschied. »War nett, sich mit dir zu unterhalten, Bronson. Man sieht sich.«
»Sicher«, antwortete Ray. »Mach’s gut.«
Auf dem Weg nach draußen legte er ein paar Münzen als Trinkgeld auf die Theke und zog, kaum dass er auf der Straße stand, sein Handy heraus und wählte Julies Nummer. Es klingelte und klingelte, bis sich schließlich die Mailbox meldete. »Ich bin’s«, sagte er nur und unterbrach die Verbindung dann wieder mit einer unerklärlichen Wut im Bauch. Wo steckte sie? Warum war sie nicht drangegangen? Eigentlich war er sich sicher gewesen, dass sie seinen Anruf schon ungeduldig erwartete, um endlich zu erfahren, wie sein Gespräch mit Barry verlaufen war.
Aber im Grunde genommen wusste er, dass seine gereizte Reaktion völlig übertrieben war. Julie konnte nicht wissen, dass er es tatsächlich geschafft hatte, Barry zu s prechen, oder dass er versuchen würde, sie anzurufen. W as sie nach der Schule machte, war allein ihre Sache. Genauso wie es ihre Sache war, mit wem sie abends ausging.
Mit Ausnahme von diesem Typen, dachte Ray verzweifelt. Ich will nicht, dass sie etwas mit ihm anfängt. Die Unterhaltung mit Bud hatte ihn tiefer getroffen, als er gedacht hätte. Bis jetzt hatte er in ihm eigentlich nicht mehr als einen Lückenbüßer gesehen – einen etwas kauzigen Typen, nett, aber völlig ungefährlich, dessen einzige Funktion darin bestand, Julie ein Alibi zu geben, wenn ihre Mutter sich mal wieder zu viele Sorgen darüber machte, dass ihre Tochter nur zu Hause herumsaß.
Jetzt sah er ihn plötzlich mit ganz anderen Augen. Bud war zwar ein eher ruhiger, unauffälliger Typ, aber er war weit davon entfernt, ein Langweiler zu sein. Er wirkte ernsthaft und einfühlsam – Eigenschaften, die einem sensiblen Mädchen wie Julie gefallen mussten. Selbst die Tatsache, dass er schon drei, vier Jahre älter war als sie, schien plötzlich nicht mehr gegen ihn zu sprechen. Bud hatte seine besten Jahre definitiv noch nicht hinter sich, im Gegenteil, er strahlte das Selbstbewusstsein eines Mannes aus, der wusste, was er wollte.
Tja, offensichtlich wollte er
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