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Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Titel: Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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beinahe ehrfürchtig an. Zielsicher führt er uns in den Raum, in dem ich warten soll, bis ich meine Aussage machen darf. Ein karges Zimmer mit einem Tisch, um den mehrere Stühle stehen. Auf dem Tisch: Getränke und Gläser. Und an der Wand tickt eine Uhr. Es ist kurz vor 9 Uhr.
    Mir schießen die Tränen in die Augen. Kerry bemerkt es sofort. »Alles gut?« Ich nicke und meine Freundin verzieht skeptisch das Gesicht. Natürlich geht es mir nicht gut, aber wenn ich jetzt rede, dann fließen die Tränen. Vor lauter Anspannung. Dagegen könnte ich gar nichts machen. Ich habe solche Angst! Was ist, wenn ich keinen Mucks herausbekomme? Wie wird ER mich ansehen? Das ist der Horror! Der absolute Horror! Was, wenn ich meine Mutter hier treffe? Oder meine alte Lehrerin, die damals zu Hause angerufen hat, nachdem ich ihr von dem Missbrauch erzählt hatte? Oder Robert, meine erste Liebe? Sie alle sind geladen. Vielleicht nicht gleich heute. Aber wer weiß, wer trotzdem kommt. Sehen möchte ich am liebsten überhaupt niemanden! Ich spüre, dass Kerry mich beäugt. Dann drückt sie meine Hand. »Wird schon!«, meint sie. Ich schüttele den Kopf. Nichts wird!
    Mein Anwalt verabschiedet sich. Der Prozess beginnt. Zuerst soll die Anklageschrift verlesen werden. Da könnte ich zwar auch dabei sein, ich möchte meinen Aufenthalt im Gerichtssaal aber lieber auf ein Minimum beschränken. Herr Rabe tätschelt mir unbeholfen den Arm, bevor er geht. Vor lauter Stress ist mir kotzübel.
    Ein wenig verloren sitzen Kerry, Frau Schmitz vom Weißen Ring und ich an dem kargen Tisch. Kerry versucht, uns zwischendurch ein wenig mit lustigen Plaudergeschichten aufzumuntern. Frau Schmitz und ich lachen pflichtschuldig. Eine lockere Stimmung kommt natürlich trotzdem nicht auf. Ich sehe pausenlos zur Uhr. Was wohl gerade passiert? Immer noch die Anklageverlesung? Oder schon die Aussage meines Stiefvaters? Wann bin ich dran?
    »Ich gehe mal eben auf die Toilette«, sage ich schließlich und erhebe mich.
    »Soll ich mit?«, bietet Kerry an, aber ich schüttele den Kopf: »Warum solltest du? Oder musst du auch?«
    Als ich die Tür öffne, bin ich einerseits froh, mich kurz bewegen zu können, andererseits fühle ich mich auf den einschüchternd großen Gängen auch schutzlos. Die Toilette ist ausgeschildert, aber ein ganzes Stück von unserem Raum entfernt. Ich biege gerade um die letzte Ecke, da sehe ich sie: meine Mutter. Es trifft mich wie ein Blitzschlag. Wie sie da steht: klein und zerbrechlich. Der Alkoholkonsum ist ihr deutlich anzusehen. Sie sieht schlecht aus, finde ich. Im Gesicht. Total fertig. Als sie mich erkennt, dreht sie sich ruckartig um und beginnt zu weinen. Ich höre es. Erkenne es an ihrer Haltung. Schnell laufe ich zur Toilette und muss dort erst einmal verschnaufen. Sie hat mich nicht einmal gegrüßt. Gar nichts. Ich bin schockiert. Unser erstes Zusammentreffen seit der Messerattacke. Und sie weint. Warum? Weil wir beide hier sind? Weil sie nichts verhindert hat? Ich verstehe es nicht.
    Nun traue ich mich kaum noch aus dem Waschraum. Wie sie mich angesehen hat! Warum ist sie überhaupt hier? Sie ist doch heute gar nicht dran! Um ihrem Mann beizustehen? Dieser Gedanke tut mir weh. Er zerreißt mich fast. Zu ihm hält sie – egal, was er macht. Und was ist mit mir?
    Ich muss dringend zurück. Vielleicht warten die schon auf meinen Auftritt. Ich könnte kotzen.
    Als ich kurz darauf unser Wartezimmer betrete, sieht Kerry mir sofort an, dass etwas passiert sein muss. »Alles in Ordnung?«, will sie wissen. Und mir schießen schon wieder die Tränen in die Augen. Ich kann nichts sagen. Und Kerry fragt auch nicht weiter, sondern guckt mich nur bedrückt an.
    Um 12:35 Uhr öffnet plötzlich Herr Rabe die Tür. Mein Herz setzt aus. Kommt jetzt meine Vernehmung? Mein Anwalt ruft in den Raum: »Mittagspause, lassen Sie uns was essen gehen!« Artig laufen wir ihm hinterher in die Kantine. Aber essen möchte keiner etwas – außer Herr Rabe. Zwischendurch sagt er: »Nun ist Ihr Stiefvater mit seiner Aussage dran. Sie müssten sich dann noch bereithalten.« »Bereithalten« – wie das klingt! Ansonsten erzählt mein Anwalt gar nichts. Allerdings frage ich auch gar nichts. Ich habe viel zu viel Angst, etwas zu erfahren.
    Nach dem Essen verschwinden wir wieder im Warteraum. Ich bin aufgeregt. Rechne jeden Moment damit, aufgerufen zu werden. Aber nichts passiert. Nur der Minutenzeiger der Uhr wandert vorwärts. Kerry fallen keine Geschichten

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