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Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Lacour
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dann gehe ich zu ihm.
    Er hängt über dem Lenkrad und hat die Hände vors Gesicht geschlagen.
    »Jayson.«
    Er rührt sich nicht.
    Ich verspüre plötzlich Reue, als wäre das das Schlimmste, was ich ihm hätte antun können.
    »Jayson?«
    Ich lege ihm die Hand auf die Schulter und überlege, was ich sagen kann, um das wiedergutzumachen. Ich habe immer wieder an das gedacht, was er an ihrem Geburtstag gesagt hat:
Ich hätte am liebsten allen gesagt, dass das für mich etwas anderes war, aber ich wusste, das war blöd. Das stand mir gar nicht zu. Ich hab sie nicht mal gut gekannt.
Ich hatte wirklich gedacht, es würde ihm guttun, aber jetzt merke ich, dass ich mich geirrt habe, es war zu viel für ihn. Er hat sie nicht sehr gut gekannt. Sie saßen zwar in Bio nebeneinander, und einmal hat er ihr gesagt, dass er ihre Mütze hübsch findet, aber mehr war da nicht gewesen. Und jetzt habe ich ihn mit so was bombardiert.
    »Jayson.«
    Ich drücke seine Schulter.
    »Jayson«
, flüstere ich.
    Da kommt er wieder zu sich, hebt den Kopf und steigt aus.
    Sein Gesicht ist nass. Er sagt: »Du hast ja keine Ahnung, wie ich mich jetzt fühle.«
    Ich mache den Mund auf und will ihm sagen, dass es mir leidtut, aber er ist schneller.
    »Danke.«

22
    Das nächste Haus, zu dem ich fahre, kenne ich so gut, fast so gut wie unseres. Ich biege in die schattige Allee ein, halte an und bleibe erst mal sitzen.
    Es war schwer, heute Morgen bei Davey zu klingeln, aber das jetzt ist schwerer als schwer – es scheint unmöglich. Ich wische mir die Hände am Rock ab und sehe hinüber zur Auffahrt. Da steht das Auto von ihrer Mutter. Und auch das von ihrem Vater. Mir ist, als stände ich auf einem sehr hohen Berg, wo die Luft dünn und eiskalt ist und das Atmen weh tut.
    Ich nehme die Tüte vom Beifahrersitz.
    Als ich mich dem Plattenweg nähere, der vom Gehweg über den Rasen zur Haustür führt, wird mir klar, dass ich sie hätte vorwarnen sollen. Zumindest hätte ich sie anrufen und fragen sollen, ob es ihnen passt. Aber wenn ich jetzt wegfahre, weiß ich nicht, wann ich wieder den Mut aufbringen werde. Ich zögere auf ihrer Schwelle, rufe mir mit aller Macht Ingrids Zeichnung von dem Mädchen in Erinnerung und denke:
tapfer
.
    Ich klopfe – dreimal schnell und zweimal lang –, wie ich immer geklopft habe, wenn ich gekommen bin und nie darauf gewartet habe, dass mir jemand die Tür aufmacht, sondern nur mein Kommen angekündigt und mich selber reingelassen habe.
    Ingrids Hund fängt an zu bellen, und ich höre, wie Susan ihn beruhigt. Ich wappne mich für den Fall, dass sie völlig verändert aussieht, und will mir den Schock nicht anmerken lassen, wenn mir eine andere Person, ein Skelett, eine Hülle die Tür öffnet.
    Die Tür geht auf.
    Ihre Haare sind grauer und länger. Sie sieht aus, als hätte sie etwas zugenommen, aber eigentlich sieht sie aus wie immer.
    Ich mache den Mund auf, aber ich weiß nicht, was ich sagen soll. Als ich das letzte Mal hier war, bin ich bestimmt einfach an ihr vorbeigezischt und habe sie kaum zur Kenntnis genommen, sondern bin schnurstracks zu Ingrid in ihr Zimmer gegangen.
    »Oh.« Sie bedeckt den Mund mit einer Hand, aber an ihren Augen erkenne ich, dass sie lächelt.
    »Hallo, Susan.«
    Sie berührt meine Schulter.
    »Komm rein.« Sie fasst sich wieder. »Was für eine Überraschung. Was für eine schöne Überraschung.«
    Ich folge ihr ins Wohnzimmer, aber beim Eintreten erstarre ich.
    Mitten an der großen Wand über dem Kamin hängt das Foto, mit dem Ingrid den Preis gewonnen hat.
    Susan wirft einen Blick auf das Foto und sieht mich dann an. Sie lächelt freundlich. »Es ist bestimmt komisch, sich selbst so groß an der Wand zu sehen?«
    »Ein bisschen«, bringe ich heraus.
    »Veena hat es uns gegeben.«
    Ich nicke.
    »Sie hat es uns an dem Abend gebracht, nachdem sie es dir gezeigt hatte.«
    Es ist merkwürdig, wie sie von Ms Delani spricht, zu wissen, dass Susan kleine Dinge über mich weiß, wie zum Beispiel, an welchem Tag ich das Foto gesehen habe. Die ganzen letzten Monate habe ich verzweifelt versucht, nicht an Ingrids Eltern zu denken, so sehr, dass es eine Zeitlang schien, als gäbe es sie nicht.
    »Du siehst gut aus«, sagt Susan.
    Auf dem Foto habe ich ein einfaches Tanktop an und Gammeljeans. Meine Haare sind verstrubbelt, und ich sehe müde aus – wann immer Ingrid das Foto gemacht hat, habe ich nicht sehr vorteilhaft ausgesehen.
    »Ich meine jetzt«, sagt Susan. »Du wirkst

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