Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser
verkaufen, weil sie die Familie durchbringen muss. Meine Mutter hat sich für meine Brüder und mich zerrissen. Ohne sie wäre ich nicht der Dschungellöwe auf dem Platz, der ich heute bin. Ich renne bis zum Umfallen, wer mir den Ball abjagen will, muss einen verdammt langen Atem haben.
Wenn Fußball Kampf für Sie bedeutet, dann ist jedes Tor eine Erlösung?
Meine Mutter ist früher so lange auf dem Markt geblieben, bis sie das Geld zusammenhatte, das sie brauchte.
Meine Währung sind Tore. Erst wenn wir den Krieg auf dem Platz gewonnen haben, ist Friede in mir.
Krieg und Frieden, das klingt sehr martialisch, eher nach Boxer als nach Fußballer.
Ich bin Afrikaner, ich komme aus New Bell, einem Armenviertel von Douala, das ist die größte Stadt Kameruns. Jedes Kind dort weiß, dass es über sich hinauswachsen muss, wenn es einmal bis nach Europa kommen will. Du musst den anderen zeigen, dass du dich nicht brechen lässt, dass du ein Sieger bist. Du musst es in Afrika jeden Tag neu beweisen. Sonst kannst du Europa vergessen.
Was wussten Sie als kleiner Junge von Europa?
Nicht viel. Ich habe ein paar von euren Filmen gesehen, einer hieß »Sissi«, glaube ich, der mit der schönen Prinzessin in den Bergen. Europa war mehr eine Sehnsucht. Die Sehnsucht nach einer Welt, die besser ist als unsere in New Bell. Schöner, reicher, sicherer.
Sie waren schon mit 16 Jahren am Ziel. Real Madrid, Europas ruhmreichster Klub, holte Sie in sein Jugendteam …
… ganz so einfach war mein Weg nicht. Es gibt da noch eine Geschichte, die wenige kennen. Als ich 14 Jahre alt war, versuchte ich mein Glück bei Le Havre (damaliger französischer Erstligist) . Nach dem Probetraining schickten sie mich wieder nach Hause. Es war eine Riesenenttäuschung für mich, denn ich wollte doch für immer
in Europa bleiben. Ich bin dann zu meiner Schwester nach Paris gefahren. Mein Visum war längst abgelaufen, ich versteckte mich in ihrer Wohnung. Wochenlang habe ich gezittert, Europa war ein Gefängnis für mich. Ich habe mich dann irgendwann gestellt und bin zurück nach Kamerun geflogen.
Warum wollten Sie nach diesen beklemmenden Wochen in Paris noch immer nach Europa? Sie hätten doch als Star der kamerunischen Liga ein gutes Leben in Ihrem Heimatland haben können.
Für uns Afrikaner ist jeder ein Held, der es in Europa schafft, trotz aller Steine, die ihm in den Weg gelegt werden. Heute weiß ich natürlich, dass Europa kein Märchenland ist. Auch hier machen sich die Menschen Sorgen ums Geld, um ihren Job und ihre Kinder. Das sage ich auch den Leuten, wenn ich zu Besuch in Kamerun bin. Aber viele wollen das nicht hören. Sie brauchen etwas, von dem sie träumen können.
Wer hat Sie denn zum Träumen gebracht?
Roger Milla. Der schwarze Mann, der bei der WM 1990 um die Eckfahne tanzte, diese Szenen kennt heute noch die halbe Welt. Gut, ihr Deutschen seid damals Weltmeister geworden, aber die schönsten Bilder, die hat ein Kameruner geliefert. Milla hat einen ganzen Kontinent entflammt mit seinen Toren und seinen Tänzen. Dieses Feuer brennt bis heute.
Roger Milla, WM‘90
35
Entflammt? Wie meinen Sie das?
Milla hat Geschichte geschrieben, die Geschichte eines Mannes, den niemand auf der Rechnung hatte, und der plötzlich zum Star der Weltmeisterschaft wurde. Mit 38 Jahren! Wir Afrikaner lieben Geschichten, in denen das Unmögliche wahr wird. Und wir erzählen sie gern ein bisschen heldenhafter, als sie in Wirklichkeit waren.
Die WM endete auch nicht ganz so grandios für Kamerun …
… im Viertelfinale war Schluss. Obwohl: Es war eine sehr unglückliche Niederlage gegen England. Nein, es war ungerecht, es war eine Katastrophe! Elfmeter in der Verlängerung, Gary Lineker hatte geschossen, ich weiß es noch ganz genau. Alle Kameruner haben sich damals trotzdem wie Weltmeister gefühlt. Endlich einmal hatten wir den großen Nationen die Stirn bieten können.
Roger Milla war nach dem Spiel sogar ganz froh um die Niederlage. Er sagte: »Wenn wir England geschlagen hätten, wäre Afrika explodiert. Ex-plo-diert. Es hätte Tote gegeben. Gott in seiner Güte weiß, was er tut. Ich persönlich danke ihm, dass er uns im Viertelfinale gestoppt hat.«
Aus heutiger Sicht hat Roger Recht. Aber ich war damals neun Jahre alt, da willst du so etwas natürlich nicht hören. Wenn wir gewonnen hätten, wäre das nicht das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses gewesen. Es wäre auch sportlich eine Explosion gewesen. Ein lauter Knall - und
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