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Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser

Titel: Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ewers
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Dribbling, jeden Schuss zur Qual macht.
    Seif Wazir scheucht seine Mannschaft das Feld rauf und runter. Eine Bahn im Sprint, eine im Trab, zwanzig Wiederholungen ohne Pause. Er will keine Minute verlieren in dieser kostbaren Stunde. Wazir, 39, ist Trainer des Malindi Sports Club, des Rekordmeisters der ostafrikanischen Insel Sansibar. Er bellt seine Kommandos, und niemand sagt einen Ton, denn Reden kostet Kraft, und das Wasser ist noch nicht da.
    Vielleicht gibt es auch gar nichts zu trinken, das hängt wie immer davon ab, ob Issa Hamid Omar kommt. Wenn Issa gerade einen Job hat, ist das schlecht für die Mannschaft, dann ist kein Betreuer da, der die blaue Plastiktonne auf der Herrentoilette im
Restaurant gegenüber mit Leitungswasser füllt und über die Benjamin Mkapa Road zum Spielfeldrand rollt.
    Heute hatten sie in der Autowaschanlage nichts zu tun für Issa, um kurz vor neun steht er auf dem Platz. Zwei Stunden sind die 19 Spieler da schon gelaufen, am Schluss auch ein paar Minuten mit dem Ball am Fuß. Sie tauchen Tassen und Flaschen in die Tonne, sie stürzen das Wasser hinunter, jeder füllt zwei-, dreimal nach. Seif Wazir hält eine kurze Ansprache. Er spricht Swahili, rasend schnell, ab und zu mischt er ein paar Worte Englisch unter: »nice pass«, »hard work«, »believe in yourselves«, »we’ll make it«, »together«.
    Wazir weiß, dass er mit der Mannschaft nur Erfolg haben kann, wenn alle zusammenhalten. Er beschwört den Teamgeist, er lobt viel. Viel mehr als das kann Wazir derzeit nicht bieten. Seine besten Spieler verdienen 100.000 tansanische Shilling im Monat, rund 50 Euro, und die Reservisten nichts. Sie haben nur das Versprechen, dass der Klub zahlen wird, wenn neue Sponsoren kommen, wenn wieder Geld da ist, wie früher.
    Seit 16 Jahren warten sie und hoffen sie beim Malindi SC, aber es kommt niemand, der sie rettet. 1994 war das letzte gute Jahr, Malindi gewann den sansibarischen Pokal und erreichte das Finale des Supercups. 1995 zog die Mannschaft ins Halbfinale des CAF-Cups ein, des Uefa-Cups Afrikas. Gegner war Etoile Sportive du Sahel aus Tunesien. Malindi durfte nicht gewinnen. Das Spiel wurde geopfert, es ging um Politik, es ging um verletzten Stolz, vor allem aber ging es um Geschäfte. Die verkaufte Partie gegen Etoile Sportive du Sahel war der eine Bruch zu viel für einen Klub, der nie nur ein Sportklub sein durfte.

    Die Geschichte des Malindi SC ist eine sehr afrikanische Geschichte. Es geht um Kolonialismus und um Rebellion, um Rassismus und späte Versöhnung, um Korruption und den Kampf gegen das, was alle auf Sansibar »das System« nennen.
    Es ist eine Geschichte, die den Klub noch immer gefangen hält, das ist zu spüren, wenn man das Vereinsheim betritt. Es steht neben dem Cine Afrique, in der Nähe des Hafens, ein weißer, dreistöckiger Bau. Draußen, vor den Fenstern: Marktgeschrei, Händler ziehen Karren mit Bananenstauden hinter sich her, Preise für Bootsfahrten aufs Festland werden gerufen, Männer hocken auf Steinbänken und streiten über Politik und Manchester United. Drinnen: Stille. Niemand da. Braunstichige Fotos in Glaskästen, an der Wand Zeitungsausschnitte und eine vergilbte Telefonliste, mit Schreibmaschine getippt. Viel Vergangenheit, kaum Gegenwart.
    Es gibt nicht mehr viele im Verein, die berichten könnten von den Anfängen des Malindi Sports Club, die die Geschichten kennen zu den alten Fotos. Die meisten Spieler aus den Vierziger- und Fünfzigerjahren sind verstorben.
    Seif Nassor, 75, wohnt in einem Plattenbau in Mwembe Tanga, am Rand von Stone Town. Die Außenwände sind fleckig, Schimmel hat sich hochgefressen bis ins oberste Stockwerk. Der Wohnblock ist ein Geschenk des ehemaligen sozialistischen Bruderlandes DDR, erbaut in den Siebzigerjahren.
    Nassor hat schwarzen Tee gekocht, kräftig gewürzt mit Pfeffer und Nelken. Nassor selbst wird an diesem Nachmittag keinen Schluck trinken. Er erzählt seine Geschichte, und er kann wunderbar erzählen. Keine Anekdote, die nicht enden würde mit einer Spitze oder einem bissigen Kommentar. Nassor hat die Menschen auf
Sansibar schon immer eingefangen mit seinen Worten, er vertrat die Insel einst als Member of Parliament in Dar es Salaam, Tansania, und er war Lehrer für Mathematik, mit einer eigenen Sendung im Televisheni Zanzibar. Nur Fremde sprechen ihn mit seinem Namen an - für alle anderen ist er mwalimi , der Lehrer.

    Seif Nassor, 75, war von 1954 bis 1974
    Verteidiger beim Malindi SC
    47
    »Es

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