Ich werde schweigen Kommissar Morry
Straße. Er war der einzige Fußgänger. Keine Menschenseele weit und breit. Leise gurgelte das Schmutzwasser zu seinen Füßen. Ein kalter Nordostwind winselte hohl um die Straßenecken.
Hundert Yards etwa hatte sich Mark Vereston von seinem Haus entfernt, da blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen. Eine lähmende Furcht umkrallte sein Herz. Es ikrampfte sich schmerzhaft zusammen. Verstört und keines Wortes fähig, stierte Mark Vereston auf den Mann, der wie eine regungslose Säule vor ihm aus dem Regendunst wuchs.
„Sie?“, fragte er mit lallender Zunge. „Was wollen Sie? Geben Sie den Weg frei!“
Es waren die letzten Worte seines Lebens. Er hörte den dumpfen Knall einer schallgedämpften Pistole und stierte aus verständnislosen Augen in einen grellen Feuerblitz.
Gleichzeitig spürte er einen zerrenden Schmerz in der Brust. Er glaubte, seine Lunge würde von glühenden .Dolchen aufgerissen. Stöhnend und keuchend sank er an die Eisengitter der nächsten Umzäunung. Mit verkrampften Händen klammerte er sich an den Stäben fest. Nur der Wille hielt ihn noch aufrecht, sonst wäre er zusammengebrochen. Und eben dieser fanatische Wille war es, der Mark Vereston bei Bewußtsein hielt. Mit allen Kräften kämpfte er gegen die nahende Ohnmacht an. Verzweifelt wehrte er sich gegen den Tod. Er spürte blutigen Schaum auf den Lippen. Er bekam keine Luft mehr in die Lungen. Die Schmerzen, die ihn bis zum Wahnsinn folterten, nahmen von Sekunde zu Sekunde zu.
Und dennoch hatte Mark Vereston noch soviel Energie, daß er ein paar zögernde Schritte in Richtung seines Hauses tat. Erschöpft schwankte er an den Umzäunungen entlang. Seine Hände griffen immer um ein paar Stäbe weiter. Er durfte diese kalten Eisenstangen nicht loslassen. Er hätte sonst schon in der nächsten Sekunde den Halt verloren und wäre nie wieder auf die Füße gekommen. Sechs, sieben Minuten brauchte Mark Vereston, bis er sein Haus wieder vor sich liegen sah. Und wenn er bisher nicht gewußt hatte, daß sein Leben rasch zerrann, so fühlte er es jetzt in diesen Sekunden. Das Blut, das unaufhörlich aus der klaffenden Wunde floß, nahm alle Kräfte mit sich fort. Wie ein Betrunkener schwankte Mark Vereston auf das Portal seines Hauses zu. Bei jedem Schritt drohte er zu stürzen. Bei jedem rasselnden Atemzug, den er tat, fürchtete er, es würde sein letzter sein. Er schaffte es noch bis zu den zwei Stufen, die zum Portal hinaufführten. Dann aber setzte ihm der Tod eine unerbittliche Schranke.
Mark Vereston stürzte nieder und rollte wie eine leblose Puppe über die harten Steine. Kalt und unbarmherzig schlug ihm der Regen ins Gesicht. Er hörte eine brausende Melodie in den Ohren, als würde ihm ein großes Orchester den letzten Choral spielen. Dann auf einmal wurde es ruhig um Mark Vereston. Die große, endlose Stille kam über ihn.
Der naßkalte Regen tat ihm nicht mehr weh. Auch die rasenden Schmerzen in der Brust hatten aufgehört. Er fühlte nichts mehr.Er hörte auch die leisen Schritte nicht, die sich verstohlen dem Portal näherten. Er hatte keine Ahnung davon, daß es sein Mörder war, der sich lauernd über ihn beugte. Der Tod hatte alle Bitterkeit von Mark Vereston genommen.
2
Wenn er zurückkommt, dachte Daisy Hoorn, werden wir eine Flasche Wein trinken. Vielleicht hebt das seine Laune. Mein Gott, ich kann mir gar nicht denken, warum er heute nur Trübsal bläst. Früher war er doch stets ein lebensfroher Mensch...
Sie schob die Gedanken beiseite und preßte die Fäuste auf die Ohren. Das Geschrei der Papageien, das Plärren und Kreischen machte sie verrückt. Am liebsten wäre sie weggelaufen. Sie scheute nur davor zurück, weil es draußen so erbärmlich regnete. Schließlich hatte sie ein Recht darauf, von Mark Vereston im Wagen nach Hause gefahren zu werden. Einmal hob sie den Kopf und lauschte in Richtung der Tür hin. Sie glaubte, ein leises Poltern gehört zu haben. Schritte, die sich der Tür näherten.
Aber vergebens wartete sie darauf, daß Mark Vereston endlich zu ihr zurückkehrte. Die Geräusche vor der Tür hatten wieder aufgehört. Es war still geworden. Selbst die Papageien schienen eingeschlafen zu sein. Man hörte nur noch das leise Gurgeln des Regenwassers in den Dachrinnen und das Singen des Windes, der sich im Kamin verfing.
Nach einer Stunde stand Daisy Hoorn verdrossen von dem schwellenden Lager auf. Sie hatte keine Lust, noch länger zu warten. Sie wußte auch gar nicht, was sie von dem
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