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Ich will dir glauben

Ich will dir glauben

Titel: Ich will dir glauben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabetta Bucciarelli
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Anwalt. Aber verstehst du, warum jemand, der einen Mord begangen hat, lügen darf, um sich zu verteidigen? Und warum er, wenn man herausfindet, dass er gelogen hat, nicht für diese Lüge bestraft werden kann? Weil wir nämlich so eine Art Recht haben zu lügen. Auf Erden können wir uns durch die Lüge retten. Wenn man es recht bedenkt, ist das wirklich erschütternd.«
    Inga: »Das ist absolut nicht erschütternd, im Gegenteil.«
    Maria Dolores: »Natürlich ist es das. Denn du wirst deinem Sohn beibringen, dass er immer die Wahrheit sagen muss, und wenn er lügt, um sich zu verteidigen, wirst du ihn bestrafen. Ein Mörder hingegen, der lügt, um sich zu verteidigen, wird, wenn man ihn dabei erwischt, nicht extra dafür bestraft, weil er gelogen hat. Er wird bestraft für das Vergehen, das er begangen hat. Vielleicht ohne mildernde Umstände, aber auch ohne eine zusätzliche Bestrafung. Verstehst du?«
    Inga: »Aber du bist doch gar keine Mörderin.«
    Maria Dolores: »Und als was würdest du mich dann bezeichnen?«
    Inga: »Eine Polizistin, vielmehr, eine Kommissarin, oder besser noch eine Hauptkommissarin, die durch Notwehr sich selbst geschützt hat.«
    Maria Dolores: »Bist du dir da ganz sicher?«
    Inga: »Ja, ich bin mir sicher. Du bist eine Polizistin, die in Notwehr gehandelt hat. Auch wenn du es dir nicht eingestehen willst.«

26
    »Herr Kommissar, ich muss mit Ihnen sprechen.« Funi steht vor Corsaris Büro.
    »Um was geht es, Funi?«, antwortet dieser mit verordneter Höflichkeit.
    »Ich habe hier eine Mitteilung vom Revier in Lecco …« Er unterbricht den Satz, um das Schreiben vorzulesen.
    »Und was steht da drin?«
    »Vor etwa drei Wochen haben Unbekannte in einiger Entfernung der Kirche San Pietro al Monte in Civate drei Kreuze aufgestellt.« Funi hebt den Kopf. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich hinfahren und mich etwas umsehen würde?«
    Pietro Corsari fixiert ihn und meint: »Und wieso werden ausgerechnet wir bei so etwas benachrichtigt?«
    »Ich habe die Meldung über unsere drei Kreuze weitergeleitet.« Unsere Kreuze – wie seltsam das klang, seltsam vertraut. »Ich habe es eben ein wenig herumerzählt.« Funi macht sich auf eine Rüge gefasst, doch nichts dergleichen passiert.
    Corsari runzelt nur die Stirn und gibt ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, er solle ruhig machen, was er denke. Dann senkt er wieder seinen Kopf, beachtet ihn nicht weiter.
    Er erträgt ihn stillschweigend, ohne mit ihm auf Konfrontation zu gehen. Vielleicht würde sich noch ein anderer, passenderer Vorwand finden, um seiner unterdrückten Aggressivität Luft zu machen. Und im Grunde war Funi an seinen Problemen am wenigsten schuld. Er suchte einfach nur nach Beschäftigung. Versuchte, die Zeit so gut wie möglich herumzukriegen. Und was war schon falsch daran, in dieser Form vom gewöhnlichen Dienst nach Vorschrift abzuweichen? Für den Moment konnte es ihm recht sein. Sollte er doch ruhig nach Civate fahren, dann würde man immer noch weitersehen. Aufgestellte Kreuze – wahrscheinlich von irgendeiner Sekte oder einem Irren. So ein Geltungsbedürftiger, der früher oder später schon genug davon haben würde, Löcher in den Boden zu graben und Kreuze darin zu versenken.

27
    Anna räumt ihr Zimmer auf. Es ist ein Einzelzimmer. Ein karges Viereck mit einem weißen Bett darin. Ein Schrank, ein Rattansessel und ein Holztisch mit einer Schreibtischlampe darauf. Die Wände sind schneeweiß, vor dem einzigen Fenster hängen kurze Leinenvorhänge, die das direkte Sonnenlicht abschirmen. Der Boden ist aus Stein. Grau, kalt. Anna kennt den Boden gut. Sie legt sich oft darauf. Mit nacktem Bauch und leeren Brüsten, die nur noch Hautlappen sind. Sie kriecht in jeden Winkel. Windet sich und schaut zur Decke. Ihre Knie sind lila und bläulichfarben. So kriecht sie oft stundenlang. Betet ihren Rosenkranz herunter. Fleht zu einem Gott, sie zu befreien. Sieht in der Schwüle der Luft Gestalten, die sich bewegen. Und ernährt sich von Wasser. Wenn sie versucht, etwas zu essen, spuckt sie alles wieder aus, bespuckt den Arzt und seine Assistentin, ihre Kameradinnen, die ihr nicht glauben wollen. Die nicht in der Lage sind zu verstehen, zu was der Geist fähig ist, wenn der Leib rein bleibt. Rein von körperlichen, irdischen Einmischungen.
    »Beginnen wir also mit unserer heutigen Sitzung«, sagt der Arzt. »Machen Sie sich schon mal fertig, Anna.« Er geht zur Tür und schließt sie ab.
    Anna gehorcht. Ihre Überzeugung

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