Ich will doch nur küssen
und das, obwohl ihr Mann im Gefängnis saß und sie von einem kleinen Einkommen lebte, das sie mit der Regierung ausgehandelt hatte. Der gesamte Familienbesitz war verkauft worden, und der Erlös war in einen Fonds zur Entschädigung der Betrugsopfer geflossen. Lanie hielt hartnäckig an der verqueren Überzeugung fest, dass man ihrem Mann Unrecht getan hatte und dass er keiner Menschenseele hatte schaden wollen. Wie immer waren nur die anderen an ihrer Misere schuld.
Lanie lebte in einem hübschen Häuschen am Stadtrand, und nach Faiths Ansicht ging es ihrer Mutter – unter den gegebenen Umständen – hervorragend. Lanie dagegen war der Auffassung, man habe sie betrogen, und sie fand es ungerecht, dass die Angehörigen der örtlichen Oberschicht nichts mehr mit ihr zu tun haben wollten. Aber auch die »gewöhnlichen« Leute, bei denen Faith so verzweifelt Anschluss suchte, gingen Lanie aus dem Weg.
Faith gab sich also einen Ruck und wählte die Nummer ihrer Mutter, doch diese ging nicht ans Telefon – sei es, weil sie schlief, oder weil sie einfach keine Lust hatte. Glück gehabt, dachte Faith, hinterließ ihr eine Nachricht und legte auf. Dann begann sie, ihren Kleiderschrank nach einem Business-Outfit für das Treffen mit Ethan zu durchforsten, und entschied sich schließlich für ein schwarzes ärmelloses Kleid und ein Paar Schuhe mit niedrigen Absätzen, mit denen sie nicht Gefahr laufen würde zu stolpern.
Erst als sie ein paar Minuten später ihre Wohnung verließ, wurde ihr bewusst, dass sie entweder ein Taxi rufen oder zu Fuß zu Ethan gehen musste. In Manhattan hatte sie kein Auto besessen, und sie hatte angenommen, dass sie auch hier keines benötigen würde, weil sie ja im Stadtzentrum wohnte. Außerdem wäre ein Auto ein Luxusgegenstand gewesen, und von denen wollte sie sich nicht zu viele gönnen, solange sie kein regelmäßiges Einkommen hatte.
Ihr blieb also nichts anderes übrig, als sich ein Taxi zu rufen. Das einzige Taxiunternehmen der Stadt war allerdings ein Ein-Mann-Betrieb, sprich, sie würde unter Umständen eine halbe Stunde warten müssen und zu spät zu ihrem Termin kommen. Sie griff in ihre Handtasche, um nach ihrem Handy zu kramen, da hupte unten auf dem Parkplatz ein Auto.
Sie spähte hinunter und blinzelte überrascht, als sie Ethans Jaguar erblickte. Ethan saß hinter dem Lenkrad und winkte ihr durch das heruntergekurbelte Fenster zu. Faith machte sich sogleich auf den Weg nach unten, wobei sie darauf achtete, möglichst sicher aufzutreten und sich nicht gleich wieder zum Affen zu machen, denn es war davon auszugehen, dass er sie beobachtete.
Sie ging auf das Auto zu und stützte sich mit einer Hand am Fenster ab. »Was machst du denn hier?«
»Hast du ein Auto?«, fragte er.
Es musste eine rein rhetorische Frage sein, sonst wäre er wohl nicht hier. Faith schüttelte trotzdem den Kopf.
»Das dachte ich mir fast«, meinte er denn auch, eine Spur zu selbstgefällig für ihren Geschmack. »Aber ehrlich gesagt wollte ich nur sichergehen, dass du keinen Grund hast, unsere Verabredung platzen zu lassen.« Seine Lippen verzogen sich zu einem spitzbübischen Grinsen.
So, so – er glaubte also, er wäre ihr einen Schritt voraus? Okay, das war er ja auch, und es gab nichts, was sie dagegen hätte unternehmen können. Aber das wollte sie auch gar nicht. Ethan hatte ihr ein dringend benötigtes Jobangebot gemacht, er war gestern Abend ihre Rettung gewesen, und heute schon wieder. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie bald nicht mehr ohne ihn auskommen. So viel Macht durfte sie keinem Mann mehr einräumen.
»Nun steig schon ein, Prinzessin«, befahl er mit demselben herausfordernden Blick wie früher.
Sie straffte die Schultern, marschierte zur Beifahrerseite und wappnete sich dafür, mit ihm allein zu sein. Und nicht nur das – bald würde sie ihr altes Zuhause betreten, zum ersten Mal, seitdem ihre Welt in sich zusammengebrochen war.
»Na, wie geht es dir an diesem wunderschönen Morgen?«, erkundigte sich Ethan, während er den Wagen aus der Parklücke steuerte.
Es war ein klarer Sommermorgen, und die Sonne schien auf die Stadt hinunter. Das helle Licht schmerzte Faith in den Augen, aber genau darauf spielte er ja an – auf ihren Kater.
»Eigentlich ganz gut.« Dank ihm. »Es war sehr aufmerksam von dir, dass du Rosalita vorbeigeschickt hast.« Der Besuch – und das Frühstück – hatten ihr gutgetan, körperlich wie seelisch. Ihr war selbst nicht bewusst gewesen, dass
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