Ich will doch nur normal sein!
richtig schlimm geht und ich nur noch heulen kann, dann ist es so, dass ich mich sofort versuche zusammenzureißen und nur noch sage, es geht mir gleich wieder besser. Einfach, um niemand mit mir zu belasten und dann auch wegen meinem schlechten Gewissen. Ja, ich lebe noch und habe bei all den Grausamkeiten zugesehen (nicht freiwillig), aber ich stand da und sah alles und habe nichts getan (aus Angst konnte ich mich nicht bewegen und ich hatte Angst, mich zu rühren, weil ich nicht wusste, was mir dann passiert), also stand ich da und musste zusehen, was da vor mir Schreckliches passiert. Wenn ich davon spreche oder daran denke, spüre ich diese Angst, kann mich nicht rühren oder kaum bewegen, dabei lebe ich noch. Ob ich noch leben will, hat mich keiner gefragt. Wenn es mir so schlecht geht und es so ist wie jetzt, dass ich einfach nur noch das Gefühl, besser gesagt, die Angst habe, es geht noch so weiter. Dann möchte ich lieber heute als morgen nicht mehr sein. Warum lieber heute als morgen? Ganz einfach, weil ich vor jeder neuen Nacht Angst habe, was wieder auf mich zukommt und ob es noch mehr so Grausames gibt, was auf mich zukommt. Ich will es nicht mehr wissen, halte es nicht mehr aus, habe das Gefühl ich drehe durch und dann, wenn ich Tavor habe, mich geschnitten habe und wieder einigermaßen ruhig bin, dann versuche ich mich auszuschalten. Manchmal gelingt es und dann bin ich wenigstens äußerlich total ruhig. Wenn ich das schaffe, dann ist alles so leer, zwar auch alles wie tot, gefühllos, aber es schmerzt nicht mehr so sehr und zerreißt mich nicht innerlich.
Heute in den Nachrichten habe ich gesehen, wie Polizisten ein Waldstück absuchten. Es ist wieder ein 5-jähriges Mädchen verschwunden. Diese Mädchen damals waren auch in dem Alter. Ich war ungefähr 8 Jahre alt, erst als ich 13 Jahre wurde, hat mich meine Mutter weggegeben, das hat mir wohl das Leben gerettet, denn davon hat mein Opa sicher nichts gewusst.
Es sind noch 5 Jahre, von denen ich nicht weiß, was passiert ist. Ich möchte es auch nicht wissen, ich kann das, was ich weiß kaum ertragen. Ich denke, dass ich damit nicht leben kann. Jeden Tag denke ich daran, wie ich es schaffen soll, dass auszuhalten und damit weiter zu leben und nach außen hin ein normales Leben zu führen. Soll das möglich sein? Ich kann es mir einfach nicht vorstellen.
Ich war und bin allein, damals und jetzt. Bis auf die Hilfe durch Herrn Dr. S., dem ich fast alles ehrlich anvertraut habe, bin ich allein. Ich kann nicht einfach losreden, wenn es mich überrollt, wenn ich reden möchte, wenn ich es nicht mehr allein aushalte.
Das ist ein Unterschied! Ich war damals allein und konnte nichts tun und, wenn ich hier raus gehe, bin ich wieder allein und muss schweigen. Es gibt nur einen Raum, in dem ich etwas davon erzählen kann, nur einen Raum und eine Person. Herrn Dr. S. und sein Sprechzimmer.
Aber, wenn ich entlassen werde und ich will hier raus, dann frage ich mich: „Wie soll ich klarkommen? Mit wem kann ich reden?“ Wenn ich auch reden darf – kann ich dann reden? Schaffe ich es? Wie ist es danach, wenn es mir schlecht geht und ich nach einer Stunde Gesprächstherapie auf der Straße stehe? Therapiezeit vorbei – ich muss gehen, die nächste Patientin steht vor der Tür und ich stehe in Breisig und es geht mir so schlimm, dass ich nicht mehr leben will?
Ich würde nichts sagen, wie ich mich gerade fühle (nicht die Wahrheit, denn habe ich ein Recht, mich so zu fühlen, wo es doch mein Opa war?). Ich würde gehen. Ich sage dort sowieso nur die Hälfte von der Hälfte und stoße dann auf sachliche und vernünftige Erklärungen, die ich alle kenne und die mich mundtot machen und mich nicht mehr sagen lassen, wie schlimm es ist und dass ich nicht mehr kann, nicht mehr will. Bei Herrn D. ist es mir schon oft so gegangen, ich habe erzählt und als dann die Resonanz kam, ich konnte nur noch schweigen und denken: „Ja, das weiß ich doch alles, aber ...“
Wie soll es weitergehen?
Diese Frage stelle ich mir in der letzten Zeit ständig. Warum? Weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, nach Hause zu gehen und mein normales Leben wieder aufnehmen zu können. Ich kann mir nicht vorstellen, jeden Tag aufzustehen und so zu tun, als sei nichts passiert, aber genau das muss ich ja eigentlich tun. Denn verändern kann ich nichts mehr, ungeschehen machen kann ich auch nichts mehr. Die Angst, jederzeit mit meinen Erinnerungen konfrontiert zu werden ist groß. Ich
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