Ich will doch nur normal sein!
nicht zusammen. Ich komme mir vor, wie im falschen Film und könnte einfach nur schreien, wenn andere lachen, lustig sind, normal sind.
Sagen, was passiert ist, damit sie begreifen, wie das Leben ist. Wie das Leben wirklich ist. Aber ich bin still und mache weiter, krieche weiter, schleppe mich weiter.
Heute ist der 27.05.2005
Die letzten Tage habe ich fast nur geschlafen, bin immer und immer wieder eingeschlafen und war dankbar dafür. Wenn ich mal munter war, ging es mir so schlecht, dass ich daran dachte, endlich Schluss zu machen, die Rasierklinge einfach mal richtig ansetzen und es zu Ende bringen. Sie liegt griffbereit unter meinem Kopfkissen. Es sind nicht viele, die ich fragen kann, ob man damit, wenn man so etwas erlebt hat, weiterleben kann. Ob es geht wieder glücklich zu sein, frei zu sein und nicht in der Gefangenschaft dieser Erinnerungen und schrecklichen Bilder, Schmerzen und der Ohnmacht über die eigene Machtlosigkeit, noch irgend etwas tun zu können, verzweifelt. Der Schmerz, die Trauer, das Erlebte, ich kann mir nicht vorstellen, es beiseite zu schieben und zu sagen, das ist Vergangenheit, ich lebe jetzt. Diese ganze furchtbare Grausamkeit ist da, die Angst, die schreienden Mädchen, die Verzweiflung, so hilflos zu sein, nichts tun zu können und selbst Angst zu haben, was passiert mit mir?
Ich weiß nicht, ob ich es schaffe – ich wünsche es mir, weil ich es so eben einfach nicht mehr aushalten kann und immer und immer wieder dieselben Fragen stelle:
„Kann man damit leben?“
„Kann ich damit leben?“
Mir ist klar, dass keiner will, dass ich mir etwas antue. Ich selbst möchte es denen, die mir so sehr geholfen haben ja auch nicht antun.
Aber ich habe so oft einfach nur das Gefühl, es bringt mich um, zerreißt mich, erstickt mich. Und? Was kann ich tun? Im Einzelgespräch reden, versuchen zu beschreiben, wie schlimm es ist, wie unerträglich.
Heute habe ich gesagt, ich möchte Einen, wenigstens Einen von denen, am besten meinen eigenen Opa, vor mir stehen haben und ihm in die Augen sehen und er soll wissen, wer vor ihm steht. Ich möchte sehen, ob er mir ins Gesicht sehen kann oder nicht, nach all dem was sie mir und nicht nur mir angetan haben. Wer weiß schon, wie es ist, wenn solange Zeit vorbei ist und alles, was ich jetzt weiß, was mich fast umbringt, nicht dazu helfen kann, wenigstens einen zu bestrafen. Wozu darüber reden? Ich kann nichts mehr tun und es ist schlimm zu wissen, dass ich nichts mehr tun kann, weil ich es solange (nicht bewusst) für mich behalten habe, geschwiegen habe. Wozu ist es gut, es jetzt noch zu wissen? Wozu?
Ich habe wirklich nicht die Hoffnung, je wieder so zu sein, wie ohne dieses Wissen. Und ich frage mich, wozu bin ich noch da, wenn ich doch nichts tun kann. Wenn es mich jetzt, wo es fast 45 Jahre Vergangenheit ist, so quält, erstickt, erdrückt. Wie soll ich das aushalten?
Die, die mir jetzt helfen und mein Mann, die haben mir nichts getan, die haben es nicht verdient, wenn ich weglaufe, nicht mehr leben will. Aber ich weiß nicht, wie ich leben kann, wie es weiter gehen kann. Ich möchte niemand weh tun, möchte auch leben, aber wie?
Wenn ich mich nicht zusammenreiße, dann heule ich nur und, wenn ich nicht heule, dann werden die Schmerzen so stark, dass ich sie nicht mehr ertragen kann.
Heute habe ich mir gewünscht, es wäre möglich jemand dafür zu bestrafen. Ja, ein Wunsch, bei dem mir schon, als ich ihn ausgesprochen habe klar war: Blödsinn, Phantasie, Hirngespinste. Nicht Einer ist da, nicht Einer.
Mit dem, was mir passiert ist, war es schon schwer zurechtzukommen und jetzt leben zu wollen. Aber es ging und ich wollte doch nur normal und in Ruhe mit meinem Mann leben. Doch jetzt – ich halte es nicht aus, es lähmt mich und macht mich schwer, so als hätte ich überall Bleigewichte an mir, die ich rumschleppe, dabei habe ich keine Kraft mehr, muss mich für alles zwingen und quälen.
Soll das die Zukunft sein? Seit dem 17.12.2004 bin ich jetzt hier und es geht mir nicht besser, sondern schlechter, wenn ich auch manchmal versuche, mir etwas vorzumachen, weil ich einfach will, dass es endlich besser wird.
Das Bild von dem kleinen Mädchen mit den dunklen Haaren und den großen dunklen Augen habe ich schon so lange gemalt und wusste nicht, warum und wer das ist. Eine Zeitlang habe ich es mit den anderen Bildern aufgehangen, dann wieder weggeräumt in die Mappe – ich wusste nicht, warum ich es gemalt habe und wer das sein
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