Ich will doch nur normal sein!
ein tolles Wort. Ich fühle mich schlecht, weil ich es solange nicht mehr wusste und nun kann ich nichts mehr tun – gar nichts. Das ist nicht gerecht, das ist so unfair über 40 Jahre sind vergangen. Wer weiß etwas davon nur die, die das getan haben und ich. Mein Opa ist tot und die Anderen – ich kenne keine Namen.
Die Mädchen – ich kenne keinen Namen. Ich kann nichts tun – gar nichts.
Und ich weiß nicht, ob ich so leben kann, mit diesen Bildern – Scheiß „Glückskind.“
Ich kann das nicht aushalten und ich will auch nicht so tun müssen, als sei die Welt in
Ordnung – sie ist nicht in Ordnung, nicht für mich. Wenn ich daran denke, wird mir schlecht, tut mir alles weh, aber das ist nicht so schlimm, wie diese Gefühle auszuhalten.
Schmerz, Trauer, Ohnmacht, Verzweiflung, Angst, Sehnsucht. Ich stehe so nah am Abgrund und habe jetzt so oft das Gefühl, zu springen wäre eine Erlösung. Ich habe keine Angst zu sterben, ich habe Angst, wie ich das weiter aushalten soll. Da ist noch mein Mann und meine Tiere und Freunde und Menschen, die mir helfen, das weiß ich alles. Aber ich weiß nicht, wie ich es schaffen soll, damit zu leben.
Es war mein Opa, der für alles der Chef war, er hat bestimmt. Es war mein Opa und ich hatte „Glück“, dass ich noch lebe. Toll, mit diesem Glück kann ich jetzt leben und mit dem, was ich gesehen habe. Ich wäre auch tot, wenn da nicht mein Opa gewesen wäre! Es wäre besser, denke ich. Was ist denn anders? Mein Opa ist nicht mehr da und ich spüre die Schmerzen und die Angst jetzt noch. Was ist denn anders als damals? Dass ich älter bin und immer gesagt bekomme, dass es vorbei ist. Ist es das? Nein, das ist es nicht und ich weiß nicht, wann es vorbei ist und keiner kann mir sagen, wann es endlich vorbei ist. Ich kann es nicht mehr aushalten.
Ja, heute ging es mir etwas besser, mir war nur im Hintergrund schlecht, ich meine, alles war da, aber es war nicht so schlimm. War es durch die zusätzlichen Medikamente oder wieder ein Tag Pause? Ich sage jetzt, ein Tag Pause, weil es eben nur eine Pause ist und dann schlägt es wieder zu und ich geh fast zugrunde vor Schmerz. Mein Arm hat nach einem Monat (ich war so stolz, mich einen ganzen Monat nicht geschnitten zu haben) auch wieder dran glauben müssen. Na ja, meine beiden Arme, denn es reicht ein Arm nicht, um es erträglicher zu machen. Es hilft auch nur kurz.
Jetzt ist es 2.40 Uhr nachts und ich sitze hier und schreibe. Die vielen Tabletten haben mir geholfen einzuschlafen und dann war alles da und ich bin heulend aufgewacht und habe geschrieben bis jetzt. Was tue ich den Rest der Nacht? Ich habe davon noch nichts im Einzel gesagt. Konnte nicht, hab mich zu sehr geschämt. Sonst hilft mir das Malen immer viel mich zu beruhigen, aber jetzt habe ich Angst zu malen. Als ich vorhin gemalt habe und dann das Bild sah, war es wieder das Mädchen. Ich finde es schrecklich, ich lebe noch und die Mädchen sind tot.
Ja, ich glaube nicht, dass das Mädchen in dem rosa Kleidchen noch lebt – ich glaube es darum nicht, weil meine Hand nicht zertreten worden ist und ich noch lebe.
24.02.05
Ich habe lange Angst gehabt, zu schreiben oder zu malen. Warum? Weil es mich immer wieder zurück führt und ich das nicht mehr aushalten kann. In der letzten Zeit habe ich Strümpfe gestrickt. Ja, Strümpfe gestrickt, so als hätte ich keine Socken. Aber solange ich die Stricknadeln in den Händen hatte, habe ich nicht gemalt oder geschrieben. Es war ganz einfach eine Flucht für mich.
20.4.05
Nun habe ich seit dem 24.02.05 nicht mehr geschrieben, es ging nicht. Ich habe mich geschämt und gefürchtet, alle meine Gefühle aufzuschreiben und immer wieder aufzuschreiben, weil ich Angst habe, das liest jemand und denkt, ich bin genau, wie mein Opa. Weil ich zu meinem Opa dazugehöre, weil ich doch mit ihm verwandt bin. Er war da und hat auf mich aufgepasst, genau aufgepasst, was die vier mit mir machen und, wenn es zu schlimm wurde, dann hat er einfach nur „Stopp“ gesagt und sie haben damit aufgehört und was anderes mit mir getan. Er war immer da, saß in dem Sessel, die Beine übereinandergeschlagen und hat alles genau beobachtet und ich habe, wenn ich konnte hingesehen und versucht, zu betteln, dass er mir hilft, damit die mir nicht wehtun. Reden konnte ich nicht, aber ich habe ihn angeguckt. Er hat mir nicht wehgetan dort, er hat nur zugesehen. Aber als das erste Mädchen dort war, hat mein Opa nichts gesagt und nichts
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