Ich will doch nur normal sein!
wirklich gedacht, ich kann damit leben, könnte für diese Mädchen mitleben, wäre es ihnen schuldig.
Aber jetzt, wo es mir wieder so schlecht geht, kann ich nur noch denken: „Glaubt denn wirklich jemand, dass man damit noch ein normales Leben führen kann? Glauben die das wirklich? Oder wollen sie nur, dass ich es glaube?“
Gestern Abend war es mir wieder so schlecht, dass ich fest davon überzeugt war, es ist noch nicht zu Ende. Es geht weiter und noch mehr wird hochkommen. Es klingt sicherlich schrecklich, wenn ich sage, dass es, obwohl ich schreckliche Angst davor habe, eigentlich doch egal ist, ob noch mehr oder nicht. Das, was ich weiß, reicht schon aus, um zu begreifen, das das, was um mich herum ist, nur eine Scheinwelt ist und das, was in mir ist, mich nie loslassen wird.
Ich werde nie frei sein, normal sein. Ich werde immer gefangen sein von diesen Erinnerungen und Bildern der Taten meines Opas und seiner Freunde.
Verdammt, wenn ich allein wäre, keine Verpflichtungen hätte, keinem Rechenschaft schuldig wäre, keinem weh tun würde – ich wäre so gern weg!
Ich habe so eine Sehnsucht danach, endlich Ruhe zu haben und nichts mehr zu wissen, nichts mehr zu sehen – eben nur Ruhe und Frieden – eben einfach tot zu sein.
Wenn ich das jetzt aussprechen würde, dann hätte ich das Risiko, nach Andernach in die „Geschlossene“ verlegt zu werden. Ich habe mein Zimmer schon fast ausgeräumt hier und ich hoffe, am nächsten Wochenende fast alles, was noch hier ist mit heim zunehmen und dann will ich mich entlassen lassen – egal, wie es mir geht. Über dieses, was ich in den letzten 5 Monaten hier durchgemacht habe in der ambulanten Therapie zu sprechen – das ist Utopie, das werde ich nicht können. Noch jemanden von diesen Grausamkeiten berichten, wenn ich allein damit nicht zurechtkomme? Nein, das kann und darf ich nicht. Was würde es auch ändern - es wird nichts ungeschehen gemacht dadurch. Es reicht, wenn es mir schlecht geht.
Oh verdammt, ich weiß nicht mehr ein noch aus, weiß nicht, wie ich es schaffen kann und denke, dass ich es nie schaffen werde, weil es einfach zu unglaublich ist, so etwas zu wissen und normal leben zu können oder zu wollen. Letzte Woche habe ich es mir so schön eingeredet, dass es möglich ist, weil es mir die 5 Tage besser ging und nun nach den 5 Tagen? Nichts ist mehr gut, es ist schlimm und ich habe Angst, es hört nicht auf. Verfluchtes Verdrängen, wozu soll das gut sein? Wenn es einfach so weg war, wozu taucht es dann wieder auf und das nach so vielen Jahren? Vorige Woche habe ich noch gesagt, ich kann dankbar sein, dass ich noch lebe – heute bin ich es nicht mehr, denke nicht mehr so. Ich wäre lieber tot, als noch mehr ertragen zu müssen.
Am liebsten würde ich Herrn Dr. S. alles, was ich weiß erzählen und dann fragen, ob er damit leben könnte und wollte. Aber ich kenne die Antwort. Er würde sagen: „Ja, es ist zu schaffen und ich könne es schaffen, weil ich stark bin.“
Ich bin nicht stark, überhaupt nicht, ich bin vollkommen am Ende und es geht kaum noch etwas und wozu auch? Was macht mein Leben für einen Sinn? Wozu bin ich da, wenn ich nicht einmal etwas tun kann, um diese Grausamkeiten aufzuklären. Jeder würde denken: „Die spinnt.“ Ist auch zu erwarten, dass mir keiner glaubt nach dieser langen Zeit und keinem konkreten Anhaltspunkt. Also, was macht mein Leben noch für einen Sinn?
Nachher habe ich Einzel um 15 Uhr. Wenn ich über all das, was ich jetzt geschrieben habe, reden würde – wäre ich dann noch hier oder schnell in Andernach? Ich werde nicht darüber reden. Ich werde sehen, dass ich nach Hause kann und dann sehen, wie es weiter geht.
Das Einzel ist vorbei. Ich habe viel von dem, was ich aufgeschrieben habe, angesprochen und auch gesagt, dass ich nicht mehr weiß, was ich tun soll und tun will. Das Ergebnis: ich habe jetzt wieder einmal „die Stufe“ und die Schwester bzw. die Nachtwache wird stündlich nach mir sehen.
Ich habe von den verdammten Kopfschmerzen berichtet und den Rückenschmerzen, die wieder da sind und auch mit Erinnerungen zusammenhängen. Ich konnte nicht darüber reden, was da wieder da ist, aber Herr Dr. Sanchez wusste den Zusammenhang zwischen Rückenschmerzen und einer bestimmten Erinnerung und sprach dies auch an. Bingo! Ins Schwarze getroffen und ich saß da und habe geheult. Es war aber nicht nur die alte Erinnerung, es war mehr, die letzte Nacht hat mir, als ich nicht schlafen konnte
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