Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus
die Wasserzufuhr nach dem Gartenhaus in der versiegelten Wohnung der Winter. Inzwischen ist ein Rohrbruch erfolgt, und die Wohnung muss unbedingt geöffnet werden, damit der Installateur zum Wasserhahn kann. Ich bitte, mir die Erlaubnis zur Öffnung der Wohnung zu geben, denn es könnte möglicherweise ein größerer Schaden eintreten und durch die Unmöglichkeit, das Wasser abzusperren, ein volkswirtschaftlich nicht vertretbarer Schaden eintreten.
Heil Hitler
Lieutenant
Die Kellerwohnung ist versiegelt. Das Inventar wurde auf 478,– Reichsmark geschätzt. In Maries Steuerakte ist der Vorgang nachzulesen: »Der Nachlass wurde am 29.6.1942 durch den Vollziehungsbeamten Tackowski an einen mitgebrachten Händler verkauft.«
Kurz darauf – die Nachmieter Ilse Plotke, geborene Levy aus Hechingen, und ihr Mann Erwin, geboren in Kattowitz, sind noch nicht in Maries Kellerwohnung nachgerückt –, da schickt die Bewag (Berliner Städtische Elektrizitätswerke Akt.-Ges.) schon die Schlussabrechnung für Stromverbrauch. Da diese Rechnungsstellungen seit 1941 einen großen Umfang annehmen, hat die Bewag vorsorglich einen praktischen Vordruck entwickelt:
Maries Steuerakte ist umfangreich, über hundert Vorgänge der Ausplünderung und Verwertung sind darin festgehalten. Am 11.
Februar 1944 werden Maries Viertel und Ilses drei Viertel am Haus durch Verfügung des Oberfinanzpräsidenten dem Deutschen Reich zugeschlagen. Im Grundbuch von Berlin-Wilmersdorf werden Marie Ruchla Winter, geborene Eisenberg, und Ilse Victoria Eva Winter als Eigentümer gelöscht. Der beflissene Arthur Lieutenant wird das Haus auch weiterhin verwalten und alle Einnahmen an den neuen Eigentümer, den Oberfinanzpräsidenten von Berlin-Brandenburg überweisen. 1944, die Landhausstraße 8 ist nun judenfrei, wird Lieutenant mit seiner Familie hier einziehen.
1945 ist Ilse aus den Akten getilgt. Sie muss Anwälte nehmen, Vollmachten ausstellen, Nachweise führen und schon gleich wieder Post aus Berlin öffnen. Am 24.
April 1951 fliegt Ilse in ihre Heimatstadt. Was sie dort sieht, wen sie trifft – ich weiß es nicht. Diese Reise ist bis auf den Eintrag im Pass ohne Spuren geblieben. Für Arthur Lieutenant hingegen geht das Leben an der guten Adresse weiter. Er bleibt Mieter in der Landhausstraße 8, bis Ilse ihr Mutterhaus 1954 an den Uniformfabrikanten Schmidt verkauft, der Eigenbedarf anmeldet und an der Stelle, wo vor dem Krieg »zur Ertüchtigung und Gesundung des deutschen Volkes« getanzt wurde, jetzt Nähmaschinen surren lässt, um der noch jungen Republik den Schnitt der »neuen Zeit« zu verpassen.
Über die Pfingsttage 1942 reist Ilse Ende Mai mit Fred nach Locarno und trifft sich in Ascona im geliebten Café Verbano auch mit Maria Netter. Zurück in Basel besucht Ilse Edith Landmann, es gibt noch keine neuen Nachrichten über die vermissten Frauen. Trotz hektischer Versuche, eine Verbindung herzustellen, schweigen alle Quellen. Am 31.
Mai schreibt Ilse – nun aus der Augustinergasse 15 – einen ausführlichen Brief an Onkel Willi.
Liebster Onkel Willi,
ein kleiner Hoffnungsschimmer ist aufgetaucht. Wir wissen noch gar nichts Genaues, da dies mit allergrößten Schwierigkeiten und Gefahr für alle Beteiligten – und es sind viele – verbunden ist. Aber wir dürfen danach annehmen, dass sie lebt und gerettet werden kann. Wo, wie, unter was für Umständen weiß ich nicht, aber jedenfalls Gott sei Dank nicht an ihrem Geburtsort [Warschau].
Man muss Geduld haben, und ich glaube bestimmt, in Kürze mehr zu wissen.
Ich habe meine schöne Wohnung in der Hardstrasse möbliert vermietet und daraus den ziemlichen Überschuss von 110 Frs. Ich selbst habe mir eine richtig romantische Studentenbude in der Altstadt, direkt am Rhein genommen. Das Haus steht seit 1485, und die Wirtin ist auch nicht viel jünger. Sie war an der ersten Frauenuniversität in USA Lehrerin.
Das Intermezzo mit dem Japaner ist schiefgegangen, eine meiner grenzenlosen Torheiten. Von Fredi habe ich mich getrennt, und trotz allem hat er mich noch nicht aufgegeben, sondern hält zu mir, es ist ein unfassliches Maß von Anständigkeit und Treue, das ich immer viel zu gering eingeschätzt habe.
Am 18.
März sollte ich steigen, das heißt Examen machen. Durch die Japs- und Muttigeschichte war es mir unmöglich, ich konnte einfach nicht mehr, zu viel Tumult und Nervenverbrauch. Eine Dissertation ist eingereicht und mit »ausgezeichnet« bewertet, nun will
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