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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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ich doch nicht jahrelange Studien schießen lassen und kurz vor dem Endspurt schlappmachen.
    Mit Fredi bin ich einig zu heiraten, auch ich sehe darin das einzige Heil und Ruhe nach all dem Sturm und Drang. Sehr erleichtert ist die ganze Beziehung dadurch, dass ich wenigstens für die nächsten Monate von ihm finanziell bei großer Sparsamkeit unabhängig bin. Ich denke, im August oder September zu promovieren und dann sofort zu heiraten, da es auch in Basel und Zürich mit der Japsaffäre gewaltige Wellen gegeben hat, die noch dadurch verstärkt wurden, dass wir auf einem Fasnachtsball zusammen waren, wo er provoziert wurde, es zu einer Boxerei kam, bei der er ein Auge einbüßte!
    Kannst Dir denken, was ich alles hinter mir habe.
    Ich werde mit Fredi wegen etwas Geld für meinen Onkel sprechen. Ich kann postalisch keines schicken. Wir leben hier nach wie vor so wie wohl nirgends mehr heute, eigentlich fehlt nichts, und auch die Teuerung ist erträglich.
    Nach diesem »summarischen Überblick« umarme ich Dich »zusammenfassend« mit herzlichen Gedanken in der Hoffnung, dass alles noch gut wird. Gesundheitlich geht es mir trotz allen Krisen noch recht ordentlich. Zwei Tage Pfingsten im Tessin bei meiner Freundin haben mich rasch wieder in die Reihe gebracht.

    Deine
Illepuppe
    Maries Transportzettel Bregenz–Berlin überlebt im Landesarchiv Vorarlberg. Und wieder überkommt mich Entsetzen. Die Fahrt im Gefängniswagen dauert sechs Tage. Mehrfach werden die Frauen um- und ausgeladen, wird die »Fracht« rangiert und über Nacht in Polizei- und Gerichtsgefängnisse eingeliefert. Verschuben nennt der Polizeibeamte das. Marie, Gertrud und Clara Kantorowicz sind nicht allein unterwegs, es ist ein Sammeltransport: arbeitsscheue Ostarbeiter, Männer wegen Landstreicherei festgenommen, Frauen wegen Geschlechtsverkehrs mit Zwangsarbeitern, junge Männer, von zu Hause durchgebrannt, Ukrainer, Sowjetrussen, Polen, Gouvernementsangehörige. Sie werden durch das Reich verschubt, auf dem Weg in Gefängnisse, Arbeitslager, Mordfabriken. Ihr weniges in einer Schachtel, in einem durchlöcherten Jutesack, einer speckigen Provianttasche; kaum eine wie Marie mit Handköfferchen. Jeder ein Name auf einem Transportzettel: Stettin, Posen, Graz, Prag, Breslau, Berlin. Die Nächte in Zellen gesteckt, in München, Hof, Plauen, Chemnitz. Auch da Zettel: »Verpflegung der Gefangenen« – Morgen-, Mittag-, Abendkost. Brot mit Schmalz und Wurst. In München gibt es Kaffee, in Hof nicht. Im Polizeigefängnis Chemnitz wird Morgenkost verabreicht und kalte Mittagskost auf dem Transport.

    Marie wird nach Berlin verschubt: Ankunft 5.

Juni 1942, 21:15

Uhr – zur Verfügung der Staatspolizeileitstelle. Noch in derselben Nacht werden die drei Frauen in der »Roten Burg«, im gefürchteten Polizeigefängnis am Alexanderplatz, eingeliefert. Dort verliert sich Maries Spur zunächst in den dunklen Zellen. Ob die drei Frauen noch beisammen sind, weiß ich nicht. Trotz langer Suche keine Hinweise. Nach vierzehn Tagen wird Marie vorgeführt. In einem Amtszimmer hat sie noch einmal ihre Angaben zum Vermögen zu machen, am Freitag, den 19.

Juni. Danach wird Marie wieder weggesperrt, dazu verdammt, auf die Höllenfahrt zu warten.
    Die glückliche Paula Korn findet ihren Weg in die Schweiz. Dies ist nicht selbstverständlich, denn im Kanton Sankt Gallen, wo bis 1939 der Polizeikommandant Paul Grüninger verfolgten Juden Einlass gewährte, übernimmt nach dessen fristloser Entlassung sein ehemaliger Widersacher, Dr. Gustav Studer, die kantonale Fremdenpolizei. Der eifrige Studer lässt die übergeordnete Stelle in Bern sogleich wissen, »dass der Kanton St.

Gallen die Frau auf keinen Fall dulde«, und empfiehlt aus Konsequenzgründen dringend die »Rückschaffung«.
    Er glaubt, dass der versuchte Grenzübertritt vom 6.

Mai weitere Fälle nach sich ziehen werde und dass bald mit einem größeren Zustrom von Flüchtlingen zu rechnen sei, wenn in Deutschland bekannt werde, dass auf diesem Weg eine Einreise in die Schweiz möglich sei. Wenn Dr. E. Rothmund der Meinung sei, seinem »dringenden Vorschlag« zu folgen, die Frau »ohne Weiteres« wieder nach Deutschland zu überstellen, so werde entsprechend gehandelt. Doch dazu kommt es nicht, Paula Korn wird durch Verfügung der Eidgenössischen Fremdenpolizei in der Schweiz interniert. Sie findet Bürgschaften, passt sich an und kann 1946 zu ihrem Sohn nach Kalifornien auswandern.
    Was macht Ilse

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