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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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schon mit »Rucksackjuden« gegangen.
    Aus dem Vernehmungsprotokoll des Kühnis:

    »Um 22:00

Uhr begab ich mich mit Spirig, Jakob, zum Restaurant Arlberg in Diepoldsau [Grenzort in der Schweiz]. Dort stellten wir die Velos ab und begaben uns zu Fuß beim Strandbad schwarz über die Grenze durch den Stacheldrahtverhau und über die Brücke bis zum Landhaus in Hohenems. Zur Erleichterung des Übertritts hatte ich lediglich einige Tage vorher die Drahtumzäunung des Strandbades mit einer Schere durchschnitten. Beim Landhaus trafen wir eine Frau, die auf das Passwort reagierte und sofort noch vier weitere Frauen aus der Gartenwirtschaft rausholte.«
    Am selben 6.

Mai gegen 18:00

Uhr wird im Gasthaus Habsburg in Hohenems die Schanktochter Isabella Aberer von ihrer Chefin gerufen:

    »›Isabella, du könntest heute Abend 20 Mark verdienen.‹
    ›Womit denn, warum?‹
    ›Ja, du könntest eine Frau zum Landhaus begleiten.‹
    ›Das mach ich gern, auch ohne die 20 Mark.‹
    ›Nein, nein, das ist alles geregelt, du gehst jetzt mit der Frau dahin.‹
    Nachts gegen 22

Uhr sind wir losgegangen«, erinnert sich Isabella Aberer weiter. »Es war eine sternklare Nacht, keine Wolke am Himmel. Auf dem Weg dahin sagt die Frau dann zu mir:
    ›Hoffentlich helfen uns diese Nacht die Sterne.‹
    Da habe ich sie gefragt: ›Was haben Sie eigentlich vor?‹
    ›Ja, wir möchten diese Nacht in die Schweiz.‹
    Dann bin ich mit der Frau zum Landhaus und habe immer gedacht: Wenn das nur gut geht. Als wir dort ankommen, sind da noch vier Frauen, die auf die Frau gewartet haben, weil sie gehbehindert war und am Stock ging, und ich habe ihr Köfferchen getragen. Als ich mit der Frau Winter, so hieß sie, also ankomme, sind die anderen vier mir um den Hals gefallen und haben mich abgeküsst und sich bedankt, dass ich die Frau Winter gebracht habe. Dann bin ich nach Hause gesprungen und habe dauernd gedacht: Wenn das nur gut geht!«
    Hermann Kühnis gibt den weiteren Verlauf des Abends zu Protokoll:

    »Die ganze Gesellschaft bewegt sich nun Richtung Schweizer Grenze. Die Frauen waren sehr schlecht zu Fuß. Es handelte sich um lauter alte Personen. Zwei der Frauen, [die] die kaum gehen konnten, ließ ich warten [Marie Winter undPaula Hammerschlag], zwei andere nahm ich unter die Arme [Gertrud und Clara Kantorowicz] und die dritte [Paula Korn] habe ich dem Spirig anvertraut. Bis zur Grenze vollzog sich der Transport trotz des mitgeführten Gepäcks reibungslos. Der Stacheldraht auf deutscher Seite war bereits überwunden, da wurden wir von der deutschen Grenzwache plötzlich überrascht und aufgefordert, stehen zu bleiben. Als wir dem Befehl nicht nachkamen, wurden wir beschossen. Ich ließ die beiden Frauen fallen, zeigte ihnen noch die Richtung und flüchtete über die Grenze. Spirig machte dasselbe.
    Spirig und ich kamen unbehelligt in die Schweiz zurück, während von den jüdischen Emigranten es einzig einer Frau Korn gelungen ist, die Schweiz zu erreichen. Die übrigen vier Frauen wurden in Deutschland festgenommen.«
    Sein Kompagnon, Jakob Spirig, erinnert sich Jahre später in einem Radiogespräch:

    »Die Frauen sind uns [am Landhaus ] entgegengekommen wie die Laubkäfer. Dann sind wir mit denen über die Brücke und über das Feld auf die Grenze zu. Es war alles still. Am Stacheldraht haben wir den auseinandergedrückt und eine nach der anderen durchgeschleust. Die Letzte ist dann mit ihrem Rock hängen geblieben, und ich musste sie loslösen. Dieses Geräusch muss ein Zöllner gehört haben, denn schon hat man gerufen: ›Halt, deutsche Zollwache!‹ Und dann wurde geschossen. Da sind wir weg, und am nächsten Morgen hat man uns zu Hause verhaftet.
    Wenn wir das damals ein wenig langsamer hätten vorbereiten können und nicht immer alles so pressiert hätte, hätten wir sie ohne Weiteres rübergebracht, da habe ich keinen Zweifel. Ich kannte einen Grenzwächter, der mitgemacht hätte; in einem Fuder Heu wären sie dann rübergekommen.«
    Gegen 0:30

Uhr werden die vier Frauen von den Grenzern ins Wachlokal der Polizei in Hohenems eingeliefert und sogleich erkennungsdienstlich behandelt: Fingerabdrücke, Lichtbild, Kleiderkarte. Paula Hammerschlag, die mit dem Postausweis von Marie Elisabeth Hünke, jener Frau, bei der Marie einige Tage Unterschlupf hatte, unterwegs ist, bittet um ein Glas Wasser. Das Polizeiprotokoll:

    In das Wasser mengte sie weiße Pillen und trank diese Flüssigkeit, ehe sie daran gehindert

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