Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus
werden konnte. Nach kurzer Zeit stellte sich bei ihr ein bewusstloser Zustand ein, sodass sie in das Krankenhaus Hohenems eingeliefert werden musste.
Paula Hammerschlag ist am 10. Mai 1942 um 11:30
Uhr im Krankenhaus gestorben. Im Nachlasse der Hammerschlag wurden folgende Sachen sichergestellt und dem Bürgermeister in Hohenems gegen Bestätigung übergeben:
1 Armbanduhr aus Weißmetall, 1 Fingerring aus Silber mit gr. Stein und kleinen Steinen als Einfassung, 1 Ehering aus Gold, 1 Halskette, 1 Paar Halbschuhe, 1 Wintermantel und 1 Mieder.
Gertrud und Clara Kantorowicz wie auch Marie Winter werden am selben Tag nach Bregenz gebracht und dort um 21:00
Uhr im »Gefangenenbuch Gericht Bregenz« mit den Laufnummern 383, 384 und 385 eingetragen. Haftgrund: »Wohnorts Verlass«. Mit diesem Vergehen werden sie als Jüdinnen zum »Ostfall«. Die drei Häftlinge sind nun »zur Verfügung der Gestapo«. Sie sollen per Schub nach Berlin zurückgebracht werden. Nach drei Wochen ist es so weit. Gertrud, Clara und Marie werden aus dem Gefangenenhaus in der Bregenzer Oberstadt nach Lindau verbracht und von dort aus am 30.
Mai 1942 um 12:26
Uhr im Gefangenensammelwagen nach Berlin verschubt.
Am 29.
Mai schreibt Willi Eisenberg in Charlieu: »[W]enn der Krieg nicht dieses Jahr zu Ende geht, ist es ja ganz egal, wie und wann man krepiert.«
In Ilses Notizbuch ist das Scheitern der Flucht vermerkt: »Nacht auf Donnerstag, Grenzunfall Mutti« – nur diese fünf Worte. Am nächsten Tag trifft sie sich nach langer Zeit wieder mit Fred. Sie gehen abends miteinander essen. Zeit für Versöhnung?
Am 10.
Mai liegt eine Benachrichtigung der Spedition Danzas über zwei Koffer aus Berlin im Briefkasten, und am 11.
Mai mietet Ilse eine kleine, verwinkelte Wohnung in der Basler Altstadt, Augustinergasse 15, sie will sparen – heute ist diese Adresse »unbezahlbar«. Am 13.
Mai fährt sie allein mit Bahn und Bus nach Diepoldsau. Dort will sie versuchen, etwas über Maries Schicksal in Erfahrung zu bringen. Doch Spirig und Kühnis sitzen in Untersuchungshaft, und im Ort selbst trifft sie auf eine Mauer des Schweigens.
Marie ist nah und doch unerreichbar. Am 18.
Mai schreibt Ilse sich den Schrecken von der Seele:
Basel, den 18.
Mai 1942
Mein lieber Onkel Willi,
ja, so viel bin ich Dir schuldig, und dies kommt noch hinzu zu den Selbstvorwürfen, die mich verfolgen. Seit Monaten warte ich auf Miezes Herkommen, alles ist geschehen, aber zu spät hat man sich dahintergestellt, als sozusagen keine geringste Möglichkeit mehr war. Vor zehn Tagen nun sollte sie kommen, alles bis zum Augenblick selbst glückte aufs Beste, bei sorgfältigster Vorbereitung. Freundinnen waren mit ihr, die an der gleichen Krankheit litten, nachts fand die Operation statt und missglückte angesichts der Rettung.
Welche Ärzte sie jetzt in der Hand haben, ich wage es nicht auszudenken. Alle Brücken baut sie hinter sich ab. Für mich besteht keine Möglichkeit, den Faden dort anzuknüpfen, wo er abgerissen ist, obwohl mich räumlich sehr wenig trennt.
Mein einziger Trost ist, die befreundeten Ärzte, die ja auch die lebensgefährliche Operation anrieten, probieren sie mit einem Serum zu stärken. Da es Kapazitäten sind, so muss man hoffen, wenn es auch schwerfällt in dieser Hölle dort.
Bitte, um Gottes willen, verzweifle nicht Du auch, noch ist alles im Fluss, unmöglich für mich, vor ca. 14 Tagen etwas zu erfahren. Mieze hatte immer Glück, so schrieb sie mir selbst noch vor zwei Wochen aus einem netten Kurort.
Von mir kann ich jetzt nichts schreiben. Bleib nur ruhig, wir werden auf jeden Fall Gewissheit erhalten, wie sie auch ist. Bitte lass mir noch ein wenig Zeit, auf Deinen Brief einzugehen. Ich schreibe sofort, wenn ich etwas weiß. Sei nur ruhig, wie auch ich es sein muss.
Es umarmt Dich traurig
Deine Ille
Auch der Verwalter von Maries Haus, Wirtschaftsberater Arthur Lieutenant, schreibt zu dieser Zeit einen Brief:
OBERFINANZPRÄSIDENTEN –
VERMÖGENSVERWALTUNG
MÜNZSTRASSE 12
BERLIN C
2
Betrifft: Beschlagnahme des beweglichen Vermögens der evakuierten Jüdin Marie Winter, geb. Eisenberg – Wilmersdorf – Landhausstraße 8
Ich verwalte das Hausgrundstück Wilmersdorf – Landhausstraße 8.
Die Wohnung der oben genannten Jüdin wurde bei ihrer Evakuierung Ende März d.
J. durch die Geh. Staatspolizei und später durch das Oberfinanzamt versiegelt.
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