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Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.

Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.

Titel: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Klemperer , Hadwig Klemperer , Walter Nowojski
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geworden, 74 M mit Prüfung), heute morgen kamen wieder Herzbeschwerden und Depression.
    Dölzschen, Am Kirschberg 19
6. Oktober, Sonnabend
    Nun dauert, noch wenig gelichtet, das Chaos eine Woche. Immer noch überall donnernde Arbeit der Zimmerleute, des Maurers, Installateurs usw. Größte Abgekämpftheit. Seit einer Woche keine Arbeitsmöglichkeit mehr. Immer wieder starke Herzbeschwerden. Meist sehr mutlos. Die Glückwünsche der Leute berühren mich peinlich. Selten Momente wirklicher Freude. Aber Eva blüht in all diesem Wirrwarr trotz ständiger Ermüdung und schwerer Behinderung durch das verschwollene Handgelenk.
    Dies die ersten Zeilen, die ich hier wage. Aber der »Füll« ist mir gar zu unbequem, auch ist alles in größter Unordnung und voller Lärm. Die meiste Zeit stehe ich untätig herum, zermürbt.
9. Oktober, Montag / Irrtum! 8. Oktober, Montag
    Immer noch Chaos. Ich schreibe am freien Schreibtisch. Aber nicht ausgepackt, überall Kisten, unbefestigte Regale, Arbeiter – Chaos, Chaos, Chaos, keinerlei Arbeitsmöglichkeit. – Ich bin heute 53 Jahre alt. Eva hat bisher noch nicht daran gedacht, daß mein Geburtstag ist.
    Sprache des dritten Reichs: Jelskis haben als geläufige Abkürzung des öfteren gehört und gelesen: Blubo – Blut und Boden. In Basel singen die Kinder: »Heil, Heil, Heil! – Hitler hängt am Seil!«
14. Oktober, Sonntag abend
    Immerwährendes Räumen, Auspacken, Umpacken, Einordnen, Staub, Staub, Staub, grenzenlose Ermüdung, den ganzen Tag nicht aus dem Haus, Kisten, Kisten, Kisten. Wochentags ein Dutzend (unübertrieben!) Handwerker um uns, Sonntags allein. Gestank von Farben, neuen Geräten, Staub, Staub, Staub. Auf den Boden schleppen, vom Boden schleppen, wieder hinauf. In den Keller, vom Keller hinauf, in den Keller zurück. Er ist noch feucht, der Zucker ist ein nasser Klumpen. – Heute abend besonders müde. Aber ich denke: Übermorgen werden neun Zehntel der Bibliothek aufgestellt sein, und das letzte Zehntel wird für den Boden verstaut sein. Völlige Nichtigkeit dieses Besitzes. Nur wieder ein bißchen arbeiten können, ein bißchen Ruhe haben. Ich denke, hoffe: am Mittwoch.
    Sprache des dritten Reiches: Der Propagandaminister zeichnet immer » Dr. Goebbels«. Er ist der Gebildete in der Regierung, d. h. der Viertelgebildete unter Analphabeten. Merkwürdig verbreitet ist die Meinung von seiner geistigen Potenz; man nennt ihn oft »den Kopf« der Regierung. Welche Bescheidenheit der Ansprüche. Ein besonders guter Witz: Hitler, der Katholik, habe zwei neue Feiertage kreiert: Maria Denunziata und Mariae Haussuchung.
30. Oktober, Dienstag
    Ich erhielt eine Zeitschrift mit Hakenkreuz: »Das deutsche Katzenwesen.« Über seine Nützlichkeit ein Aufsatz des Reichsleiters im großen politischen Stil. Die Katzenvereine sind jetzt Reichsverband; Mitglied darf man als Arier sein. Ich zahle also nicht mehr meine monatliche Mark für den Pflegeverein hier. –
20. November, Dienstag
    Am Mittwoch, 14. 11., die Vereidigung: »Treue dem Führer und Reichskanzler Adolf Hitler.« Etwa 100 Leute; die zweite Gruppe. Bei der ersten Vereidigung in den Ferien war ich »nicht anwesend« in der Hoffnung, vielleicht ganz daran vorbeizukommen. Es hat nicht sollen sein. Die Zeremonie, kalt und formell wie möglich, dauerte keine zwei Minuten. Man sprach dem Rektor im Chor nach, der vorher heruntergehaspelt hatte: »Sie schwören ewige Treue; ich bin verpflichtet, Sie auf die Heiligkeit des Eides aufmerksam zu machen.« Und hinterher: »Sie haben Ihren Eid auf Formular zu unterzeichnen.« Und: »Ich schließe mit dreifachem Sieg-Heil.« Er schrie »Sieg« – und der Chor brüllte »Heil!« und drängte zu den Formularen.
21. November, Mittwoch
    Drittes Reich : Das magische Wort. Bollert, Direktor der Landesbibliothek, sagte mir einmal: »Ich grüße ›Heil!‹, das muß ich. ›Hitler‹ hinzuzufügen widerstrebt mir.« – Auf der Winterhilfsplakette für November steht: »Du gibst dem Führer Dein Ja.« Fräulein Roth sagt mir: »Ich hab es ihm nicht gegeben, ich habe die Plakette so an der Tür befestigt, daß das Ja überklebt ist.« Eva meint, dies sei eine Art Übergang zum Beschwören durch Messerstoß in ein Bild. Das scheint mir eine zu kühne Verbindung.
16. Dezember, Sonntag
    Einen Augenblick lang schien es, als werde Hitler nicht über die Saarabstimmung (13.1.), vielleicht nicht über Weihnachten wegkommen. Jetzt ist die Saaraffäre zugunsten Deutschlandsentspannt, und Hitler

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