Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.
England bei seinem Ältesten ist. Ich gratulierte ihm zum 70. Geburtstag und fragte ihn gleichzeitig, ob er mir auf mein Haus eine zweite Hypothek von 6000 M geben wolle, unkündbar bis 1. 1. 42; zur Sicherung würde ich ihm den entsprechenden Anteil meiner dann fälligen Lebensversicherung verpfänden. Ich glaube bestimmt, er wird ablehnen, und ich werde um eine neue Kränkung reicher sein. Aber selbst wenn er akzeptiert – wie weit ist mir geholfen? Ich würde dann Prätorius auszahlen, und ich würde meine Lebensversicherung soweit aufbessern, teils durch Schuldenrückzahlung, teils durch Vorauszahlung, daß sie für etwa zwei Jahre in einer Höhe von etwa 12 000 M sichergestellt wäre und daß sie bei späterer Unmöglichkeit des Weiterzahlens immerhin noch 6000–7000 M Wert behielte. Georg also könnte derart wirklich sicher sein, und ich säße hier unangefochten und könnte von der Pension existieren. Nur: Für die erste Hypothek wäre dann alle Rückzahlungsmöglichkeit geschwunden. Und wir säßen doch hier als Kleinbürger in Enge ohne jede Möglichkeit, wieder hochzukommen. –
4. Mai, Sonnabend vormittag
Wechselnde Stimmungen. Vorgestern abend machten wir scherzhafte Konstantinopler Pläne, am nächsten Tag sah wieder alles trostlos aus. Ich tue kaum etwas anderes als Briefe schreiben. Nach USA an Tillich und Ulich, heute an Weißberger nach Oxford.
Nachmittag
Stepun berichtet, daß mein Katheder neu besetzt wird. Also hat man mich nicht einsparungshalber hinausgeworfen. Sondern als Juden. Obschon ich im Felde war usw. usw.
Er nennt mir zwei Schweizer Adressen für Verlag und Vorträge: Vita Nova-Verlag, Luzern, und Dr. Liefschitz, Bern.
7. Mai, Dienstag
Auf meine vielen Schreiben habe ich bisher eine auszufüllende Bewerberliste aus England erhalten, die auf alle Welt der Arbeitslosen zugeschnitten ist und mir gar keine Chance bietet. Qualvoll richtet sich vor mir die Notwendigkeit des Maschinenschreibens auf. Ich habe ein Farbband besorgt und will auf unserer Remington »uralt« (03!) morgen zu üben beginnen.
20. Juni, Donnerstag
Georg hat mir die 6000 Mark geschickt. Zinsfrei. Rückzahlung nach meinem Belieben. Der Brief – die zwei Briefe – liegen hier bei. Es ist sehr nett – und ein bißchen verächtlich von ihm. Zu freuen vermag ich mich nicht, wenn ich auch ein wenig erleichtert bin. Wir werden den Baumeister auszahlen, vielleicht eine Kleinigkeit weiter ausbauen, einen Teil an die Iduna zurückzahlen. Dann mag die Misere anfangen. Ich verteidigte mein Im-Lande-Bleiben in einem Brief an Georg. Ich bin absolut gebunden.
Inzwischen rüstet sich Blumenfeld, in zwei, drei Wochen nach Lima zu reisen. Ich sehe mit bitterem Neid zu und empfinde den Neid als Verrat an Eva. Sie gräbt sich förmlich in ihren Garten ein. Tag um Tag.
Der ungeheure außenpolitische Erfolg des Flottenabkommens mit England festigt Hitlers Stellung aufs bedeutendste. Schon vorher hatte ich in letzter Zeit den Eindruck, daß viele sonst wohlmeinende Menschen, abgestumpft gegen inneres Unrecht und speziell das Judenunglück nicht recht erfassend, sich neuerdings halbwegs mit Hitler zufriedengeben. Ihr Urteil: Wenn er um den Preis innerpolitischen Rückschritts die äußere Macht Deutschlands wiederherstellt, so verlohnt sich dieser Preis. Man kann ja später im Innern wiedergutmachen – Politik ist nun einmal keine saubere Angelegenheit.
21. Juli, Sonntag
Die Judenhetze und Pogromstimmung wächst Tag für Tag. Der »Stürmer«, Goebbels’ Reden (»wie Flöhe und Wanzen vertilgen!«), Gewalttätigkeiten in Berlin, Breslau, gestern auch hier in der Prager Straße. Es wächst auch der Kampf gegen Katholiken, »Staatsfeinde« reaktionärer und kommunistischer Richtung. Es ist, als seien die Nazis zum Äußersten gedrängt und bereit, als stünde eine Katastrophe bevor.
Prätorius, mit dem wir Zwist wegen Durchlässigkeit des Daches hatten und der uns jetzt die Diele erweitern und die Veranda verglasen soll – 1300 M von Georgs 6000, Gott weiß, ob ich recht tue, aber was ist sicher? –, Prätorius erzählt, der Gemeindevorsteher »sei schlecht auf mich zu sprechen«, er habe die neue Überdachung beanstandet und verächtlich von mir und meinem »Frontkämpfertum« geredet, er sei »eben ä Nazi«. Daß neulich ein Gendarm von mir wissen wollte, seit wann ich »eingebürgert« sei, schrieb ich wohl; sie müßten über die Nichtarier in ihrer Gemeinde Bescheid wissen. Ich rechne wahrhaftig, damit, daß man mir das
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