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Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.

Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.

Titel: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Klemperer , Hadwig Klemperer , Walter Nowojski
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Mayerschen Kartoffelsalat pathetische Meldung von den »Werwölfen«, Männern und Mädchen , die im besetzten Gebiet des Westens den Kampf aufnehmen. Sie haben einen Sender in Händen, der großdeutsche Rundfunk wird ihre Nachrichten weitergeben. Damit wird also diese Franctireur-, Partisanen-, Flintenweibergruppe (die bestimmt ebenso »spontan« zustandegekommen ist wie die der Synagogen-Verbrenner) nicht nur glorifiziert, sondern auch anerkannt. Gleich darauf kam ein entsprechender Aufruf der Partei an alle Männer und Frauen. »Stunde höchster Bewährung«, kämpfen bis zum Tode … Was wird die anglo-amerikanische Antwort sein? Vernichtung aller Häuser, aus denen geschossen wird, noch weiter verstärkte Fliegerangriffe. Und niemand in Deutschland macht dieser mörderischen Regierung ein Ende.
2. April, Ostermontag früh
    Pfeifender Sturm, gestern wie heute. Als wir gestern abend von Mayer in tiefste Dunkelheit heraustraten, riß mir der Wind den von Agnes geschenkten Hut vom Kopf und trieb ihn davon. Keine Möglichkeit ihn wiederzufinden, wir tappten ein Stück zurück, Eva verzweifelter als ich. Plötzlich sah ich im Dunkel etwas noch Dunkleres, stieß mit dem Fuß daran – es war wahrhaftig der Hut. Ich möchte gern den wider alle Möglichkeit geretteten Hut als Omen für den dazugehörigen Kopf nehmen. Aber ich bin skeptisch. Fraglos sind die gestrigen Pronunciamentos der Werwölfe und der Partei ein Ausdruck der Verzweiflung, aber ebenso fraglos zeigen sie, was wir beide zu erwarten haben, wenn wir nicht durchkommen … Da wir aber, einmal entdeckt, auf alle Fälle verloren sind, so kommt es auf ein bißchen mehr oder weniger Urkundenfälschung (meint Eva, und ich stimme ihr bei, und sie hat den entscheidenden Federzug vorher geübt) nicht mehr an. Unser Plan ist also der: Das Ehepaar Kleinpeter aus Landsberg a. W., danach in Dresden (hier ausgebombt), Piskowitz, Falkenstein, ist nach Aussig abgemeldet, weil es dort Bekannte hat und andrerseits die Scherners neue Leute erwarten (zwei Lehrlinge für die Apotheke und einen Bruder Flüchtling). Wir fahren aber südostwärts nur bis Falkenau und wenden uns dann über Regensburg nach Schweitenkirchen. Wir nennen für Regensburg den Professor Ritter, treffen ihn dort nicht an, müssen weiter und nennen für Schweitenkirchen die Eltern der Frau Stühler, die wir wahrscheinlich wirklich dort antreffen und die uns gewiß zurUnterbringung behilflich sein würden. Wir wenden uns unterwegs für Quartier an die NSV oder den Ortsbauernführer. Ausweispapiere: die Falkensteiner Abmeldung und die in Ordnung befindlichen und nicht nachgeforderten – das macht guten Eindruck! – Lebensmittelkarten. Ich deponiere dieses verräterische Tagebuch, die Blätter über genau vier Wochen Falkenstein, heute nachmittag im verschlossenen Kuvert als wissenschaftliches Manuskript bei Scherner, auf Abruf, eventuellen Abruf. Ich bin mir bewußt, daß die Durchführung des von Eva gefundenen Planes von Eva abhängt; sie muß überall die Handelnde und Sprechende sein, meine Geistesgegenwart oder Ruhe oder Tapferkeit reicht nicht aus, allein wäre ich bestimmt verloren. Ich bin mir durchaus bewußt, wie sehr sie ihr Leben aufs Spiel setzt, um meines zu retten. Während wir das Tagebuch deponieren, behalten wir – wieder Evas Entscheidung – trotz der Gefahr einer Gepäckdurchsuchung unsere Pässe und einen J-Stern bei uns, weil wir diese Alibi-Zeugnisse für unsere Rettung ebenso nötig haben werden wie die arische Kleinpeterei. –
    Fünfzehn Uhr
    Nun wird Eva ihre Urkundenfälschung fertigen, mit dieser Tinte und dieser Feder. Und ich schließe das Falkensteiner Tagebuch, um die Blätter zu Scherners mitzunehmen. Vorher irgendwo Kaffee, vorsorglich. –
    Unterbernbach bei Aichach
13. April, Freitag vormittag, Haus des Ortsbauernführers
    Es scheint, als sollten wir hier nach zehn überschweren Fluchttagen zu provisorischer Ruhe kommen. Es scheint auch, als ginge der Krieg nun wirklich dem endgiltigen Ende zu. Ich bleibe vorderhand beim (meist unleserlichen) Stichwortzettel, bis ich die verflossenen Fluchttage (eben aus den verlöschenden Zetteln) nachgetragen habe. Stationen 2.–12. 4.:
Di. 
3.4. 
Ab Falkenstein 4.52 h. Muldenberg, Zwotental Graslitz, Falkenau 8.30–ca. 15.30 h, Eger, Marktredwitz. Erste Nacht im Wartesaal.
Mi. 
4.4. 
Marktredwitz ab 7.30 h. Regensburg 13.30–17.45 h. Zug bis Landshut. Vier Kilometer Abendfußwanderung nach Altdorf. Hier etwa 22.30 h Zug nach

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