Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.
Wir wollten zum Asambunker hinüber, neues Schießen ließ uns an der Außenseite des Asamhäuschens Deckung suchen; erst eine lange Weile später wagten wir die restlichen paar Schritte zum Bunker. Diese paar Schritte Durchgang zwischen den Hofgebäuden führten freilich auch geradewegs feindwärts,denn man sah auf die Wiese und über sie hinweg auf den Waldrand, aus dem die Amerikaner kommen mußten. Danach saßen wir dann im Bunker, manchmal steckte ich den Kopf heraus, ohne etwas zu entdecken, die Bauersfrau holte Essen für ihre Leute, wir hungerten, und so gegen zwei Uhr trauten wir uns wieder heim und machten uns einen Kaffee. Das Dorf war über-, genauer: um rollt worden, nur am Rand »unseres« Waldstreifens hatte eine kleine letzte Soldatengruppe noch ein paar Minuten Widerstand geleistet, bevor auch sie geflüchtet war. Der Krieg lag hinter uns, während wir ihn noch vor uns glaubten. –
8. Mai, Dienstag
Das Licht fehlt nun schon den elften Tag (es ist wohl am 28. 4. doch nicht einem Gewitter, sondern dem Kampf erlegen, die Schwestern Steiner-Haberl erzählen von ihrer Radfahrt nach Neuburg, es hingen überall zerrissene Drähte), und mit dem Licht fehlen das Radio und alle Nachrichten.
Daran knüpfen sich die schwersten unserer gegenwärtigen Beunruhigungen und guai. Vor allem die Frage: Wie und wann werden wir von hier fort und nach Dresden können? Wie kommen wir überhaupt nur nach Aichach, und was finden wir dort vor? Um wirkliche Hilfe zu erfahren, müßte ich mich als Jude dekuvrieren. Das möchte ich aber erst dann tun, wenn ich aus der hiesigen Umgebung mit Bestimmtheit und sogleich fortkomme. Was ich hier andeute, erwägen wir immer wieder von allen Seiten, es ist ein schwieriges Thema mit vielem Für und Wider. Und es ist gar nicht zu lösen, solange uns alle Nachrichten fehlen …
Nun die Lebensgefahr vorüber, haben wir die kleinen, aber summierten Leiden unseres Zustandes reichlich satt und finden in seiner Romantik keine Entschädigung mehr. Aber das Gefühl der Dankbarkeit ist doch immerfort vorhanden, und viele Stunden des Tages sind immer wieder genußreich. Bukolische Stunden sozusagen. Dazu auch »volksnahe« und also lehrreiche.
13. Mai, Sonntag, fünfzehn Uhr
Als vorgestern das Licht wiederkam, hieß es noch, verdunkelt müsse weiter werden. Das wurde gestern widerrufen, und gestern, am 12. Mai 45 also, sahen wir das erstemal seit dem 1. September 39, seit bald sechs Jahren, beleuchtete Fenster. Nur wenige Fenster im Dorf, und doch sah der Ort gleich ganz anders aus. Es war ein großer Eindruck.
15. Mai, Dienstag, etwa vierzehn Uhr
Früh, als ich frisch war, sagte ich zu Eva, ich hätte mehr als »zwei Rosse« im Stall, alle würden sie mir Freude machen, aber in dem Sattel irgendeines von ihnen käme ich nun gern zum Sitzen. Ich könnte: 1) eine Professur übernehmen, 2) ein Unterrichtsministerium, 3) eine Redaktion, 4) die Arbeit am Curriculum, 5) an der LTI, 6) am 18 ième , 7) an einer Weiterführung meiner modernen französischen Literaturgeschichte und Prosa bis 1940. Aber eines von diesen sieben Rössern möchte ich wirklich reiten, solange mein Herz es noch zuläßt. Und dazu Garten und Musikmöglichkeit für Eva und Rauchen und Alkohol für uns beide, und noch einmal die Freude des Autos! Wann wird das in Erfüllung gehen? Wenn man heiß und schwer mit Rucksack und Tasche voll Nudeln beladen heimkommt, und Eva klagt um die Zigarette und ich um das Getränk – dann bekommen alle sieben Rösser ein illusorisches und gespensterhaftes Aussehen. Noch geht keine Bahn, noch ist an Abtransport nicht zu denken, noch fehlt es an Kaffee, an Tabak, an Kleidung, an Bewegungsmöglichkeit, an Zeitungen, an Nachrichterhalten und -empfangen.
Morgen ist unser 16. Mai. Wir werden ihn leichteren Herzens begehen können, als in den vergangenen Jahren, aber »feiern« können, ganz materialistisch mit Wein und Braten und echtem Kaffee und Tabak, feiern können wir ihn noch immer nicht.
Der größte Eindruck der gestrigen Fahrt nach Aichach: Auf dem Hauptplatz, dicht am alten Tor, weht am Fahnenmast, der so hoch ist, wie es die nazistischen waren, so groß und stoffüppig wie das Hakenkreuzbanner, weiß und rot gestreift mit den goldenen Sternen auf blauer Gösch, das Banner der USA.
17. Mai, Donnerstag
Die Hand zittert vom Gewalt- und Hitzemarsch nach und von Aichach. Halb acht bis halb elf hin, Bureaumühsal, Ohnmachtsanfall Evas. Voller Erfolg, Rückmarsch bis jetzt. Ende der
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