Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.
November
Die Nachrichten über Judenverschickungen nach Polen und Rußland lauten von verschiedenen Seiten katastrophal. Brief von Lissy Meyerhof an uns, von dem Kölner Voß an Kätchen Sara, mündliche Berichte. Wir hören manches. Neumanns besuchten uns. Frau Voß steht im Arbeitsdienst bei Zeiss-Ikon – »freiwillig«, denn das soll Sicherung gegen Deportation sein, auch freiwillig ohne Anführungsstriche, denn das ist wie Bridge, da arbeiten all ihre Freunde und Freundinnen. Man durchlöchert oder setzt zusammen irgendwelche Teilchen, wahrscheinlich für irgendwelche Meßapparate der U-Boote und Flugzeuge. (Die Judenabteilung soll es sehr gut haben.) –
24. November, Montag abend
Frau Reichenbach erzählte – Reichenbachs waren gestern unsere und Kätchens Gäste –, ein Herr habe sie in der Ladentür gegrüßt. Ob er sich nicht in der Person geirrt habe? – »Nein, ich kenne Sie nicht, aber Sie werden jetzt öfter gegrüßt werden. Wir sind eine Gruppe, die den Judenstern grüßt.«
28. November, Freitag
Die Beunruhigung im Ausland über die Deportationen muß sehr groß sein: Lissy Meyerhof und Caroli Stern erhielten, ohne darum gebeten zu haben, telegraphisch von Verwandten in USA Kubavisum und -passage. Hilft ihnen aber nichts; Pässe werden deutscherseits nicht erteilt. (Andere Aussage: nur an über Sechzigjährigeerteilt. Alles ungewiß, täglich wechselnd.) Cf. auch Sußmanns Karte an mich. Wir erwogen wieder. Ergebnis wie immer: bleiben. Gehen wir, so retten wir das Leben und sind zeitlebens abhängige Bettler. Bleiben wir, so sind wir in Lebensgefahr, behalten aber die Chance, hinterher ein lebenswertes Dasein zu führen. Trost bei alledem: Das Gehen hängt kaum noch von uns ab. Alles ist Schicksal, man könnte auch gerade in sein Verderben laufen. Wenn wir z. B. im Frühjahr nach Berlin übersiedelt wären, säße ich jetzt wahrscheinlich schon in Polen. –
4. Dezember, Donnerstag morgen
Das Tagebuch muß aus dem Hause. Gestern brachte Paul Kreidl Nachricht, daß Rundschreiben unterwegs sei: Bestandsaufnahme des Hausrats . Das bedeutet Beschlagnahme, vielleicht auch Verschickung. Gleich nach Abgabe der Inventarerklärung ist Haussuchung zu erwarten. Also soll Eva meine Tagebücher und Manuskripte zu Annemarie schaffen. Eventuell muß ich danach die Tagebuchnotizen überhaupt stoppen. – Auch will ich heute Photokopie meiner Urkunden in Auftrag geben, da alle Urkunden konfisziert werden sollen. (Man wird zum Peter Schlemihl sozusagen.)
12. Dezember, Freitag vormittag
Gestern, 11. 12. 41 ist der Krieg deutscherseits an USA erklärt worden. Wir erfuhren es genau erst heute früh (im Kohlenkeller durch Frau Ludwig, die katholisch-arische Wirtschafterin Dr. Friedheims). Wir sagten es uns schon gestern, da Hitler den »Reichstag« einberufen hatte »zur Entgegennahme einer Regierungserklärung«, und da im Abendblatt die wechselseitige Verhaftung der Deutschen in USA und der USA-Leute in Deutschland stand.
22. Dezember, Montag
Gestern Verfügungen – Paul Kreidl bringt sie herauf, Rundschreiben der Gemeinde, Unterschrift nötig: 1) Verbot, von öffentlichen Fernsprechstellen zu telefonieren . (Privates Telefon ist uns längst genommen.) 2) Ausgehverbot für alle Juden am Morgen des 24. Dezember bis zum 1. Januar, »da ein herausforderndes Verhalten eines Juden in der Öffentlichkeit Empörung hervorgerufen hat.« Freigegeben ist nur die Einkaufsstunde drei bis vier (Sonnabend zwölf bis eins); vier von den acht Tagen (die Weihnachtstage, Neujahr und Sonntag) sind also vollkommene Hafttage.
25. Dezember, mittags
Weihnacht und Hausarrest, und das erstemal in 38 Jahren kein Geschenk für Eva. Trotzdem zuversichtliche Stimmung, denn ein Ende scheint nun abzusehen. Die Nachrichten aus dem Osten und aus Afrika täglich bedrohlicher. Gestern das stark verbürgte Gerücht, die hiesige Garnison sei in der Nacht vom 23. zum 24. alarmiert gewesen – Unruhen befürchtet. Heute berichtet Paul Kreidl, in der »Frankfurter Zeitung« stehe der Abdruck eines italienischen Artikels, darin heiße es, die Lage im Osten sei »ernst«, in Afrika »sehr ernst«. –
LTI. Paul Kreidl sagt mit Recht: Wenn im Bericht »Helden«, »heldenhaft«, »heldenmütig« auftauchen, so »klingt das immer wie Nachruf« (»Heldenmütiger Widerstand in Afrika«).
31. Dezember, Mittwoch
Résumé. Arbeit: das Kriegsstück des Curriculi Alphonsschule bis Kriegsende, zur Hälfte nur im Manuskript (cf. 27.12.), das Gefängnisstück.
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