Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.
– Das ganze Jahr über wie gefangen, nicht einmal größere Sommerspaziergänge möglich, die Situation immer beengter und gefahrvoller. Georgs 3000-M-Geschenk zum größten Teil verloren. (200-M-Raten, bei 1400 Beschlagnahme der Auswandererkonten; von diesen 1400 mindestens 600 fortgesteuert.)
Schwerster Schlag, schwerer als die Gefängniswoche im Sommer: der Judenstern seit 19. 9. 41. Seitdem vollkommen abgeschlossen. Eva macht alle Besorgungen, ißt mittags häufig alleinin der Stadt, kocht jeden Abend für uns. Mir fällt viel Innenarbeit, Abwaschen, Töpfescheuern zu. Beschränkung auf wenigste Einkaufwege am Chemnitzer Platz. Tagelanges Zuhausesitzen. – Seit etwa einem Monat deutlicher Umschwung der Kriegslage und steigende Hoffnung.
1942
12. Januar, Montag
(Neuestes »Postschließfach«: Enveloppe V. Hugo Lyrik)
Es war ein solcher Schock, daß ich erst heute zur Notiz fähig bin; ich habe bisher am Curriculum mein Gleichgewicht zurückzugewinnen versucht.
Donnerstag nachmittag, vier Uhr, den 8. Januar, ich komme vom Einkauf am Chemnitzer Platz im Kopf der 16. Am Landgericht wie immer Gedränge der Einsteigenden. Kurz vor dem Bahnhof dreht sich ein junger Mann nach mir um, ganz gut geschnittenes Gesicht, kalte graue Augen, und sagt leise: »Nächste Haltestelle aussteigen.« Ich, ganz mechanisch, da ich ja dort die Bahn wechsle: »Ja«. Erst im Aussteigen fällt mir das Merkwürdige auf. Ich warte auf die 14, da steht er schon neben mir: »Wo kommen Sie her? Wo wollen Sie hin? Sie kommen mit mir.« Ich fragte erst gar nicht nach seinem Ausweis. Im Gehen sagt er: »Staatspolizei. Wollen Sie meine Legitimation sehen?« – »Nicht hier.« Dem Bahnhof gegenüber, an der Hohen-Straße-Seite, dort, wo ich zu parken pflegte, zwischen den Hotels ein großes Bureaugebäude. Das also das Haus der Gestapo, von dem Schrekkensgeschichten erzählt werden. Mein Hundefänger zu einem Kameraden, der ihm entgegenkommt: »Der latscht in der Verkehrszeit auf der Elektrischen rum; ich will ihn flöhen.« Zu mir, übrigens ohne Schreien: »Sie warten hier, hinter der Freitreppe.« Ich stand ein paar Minuten. Sehr kurzatmig. Immer mit dem Gefühl: »Wann kommst du frei?« Jemand, der vorbeikam, brüllte mich an: »Umkehren!« (Von diesem: Gesicht zur Wand! hatte ich schon gehört.) Nach einiger Zeit erschien mein Hundefängerwieder und winkte mir heraufzukommen. Oben ein sehr großer Bureauraum, man sieht in ein anderes Zimmer, Art Wohnzimmer mit gedecktem Tisch. Meine Brieftasche, meine Mappe werden durchgesehen. »Was tun Sie?« – »Ich schreibe ein Buch.« – »Das können Sie ja doch nie veröffentlichen. – Sie kommen morgen in Arbeit. Goehle-Werk (Zeiss-Ikon). – Sind Sie herzkrank?« – Ich war wohl sehr bleich und sprach mühselig ohne Luft. Soweit war die Behandlung noch beinahe anständig. Indem erscheint ein anderer Polizeimann, vielleicht einen Grad höher, mittelgroß, braune, höhnische Augen. Er duzt mich: »Nimm deinen Mist (Mappe und Hut) vom Tisch. Setz den Hut auf. Das ist doch bei euch so. Da wo du stehst, ist geheiligter Boden.« – »Ich bin Protestant.« – »Was bist du? Getäuft? Das ist doch bloß getarnt. Du als Professor mußt doch das Buch kennen von … von einem Levysohn, da steht das alles drin. Bist du beschnitten? Es ist nicht wahr, daß das eine hygienische Vorschrift ist. Das steht alles in dem Buch. – Wie alt? – Was, erst sechzig? Mensch, mußt du in deine Gesundheit hereingewütet haben. – Was war das für eine Bewegung mit deinen Pfoten? Du hast doch eben was gemaust. Pack die Mappe aus.« – Ich mußte noch einmal alles öffnen. Ein Brot, eine Flasche mit einem halben Liter Milch. »Gute Milch.« – »Aber nein, Magermilch.« – »Gute Milch!« – »Aber es ist doch Magermilch.« – Drei Stückchen Kuchen. – »Sieht gut aus!« – Ein halbes Pfund Brombeertee. (Zum Rauchen!) – »Wozu soviel auf einmal, das kannst du doch täglich kaufen.« – »Wer wird nun den Krieg gewinnen? Wir oder ihr?« – »Wie meinen Sie das?« – »Nu, ihr betet doch täglich um unsere Niederlage – zu Jahwe, so heißt es ja wohl. Das ist doch der jüdische Krieg. Adolf Hitler hat’s gesagt – (pathetisch schreiend:) Und was Adolf Hitler sagt, das ist auch so. – Warum kaufst du am Chemnitzer Platz?« – »Wir wohnten früher dort.« – »Du kaufst da, weil man dir da mehr gibt. Das hört auf. Du meldest morgen deine Marken beim nächsten Kaufmann an. Du läßt dich hier nicht
Weitere Kostenlose Bücher